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Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Das kalte Jahr: Roman (German Edition)

Titel: Das kalte Jahr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Ehrlich
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war ich sehr erleichtert, dass sich nichts verändert hatte in meiner Abwesenheit. Dann sah ich aber gleich schon die langen Eiszapfen, die an den Regenrinnen der Häuser hingen, einen igluförmig eingeschneiten Kleinwagen, die grauen Wolken am Himmel, ich hörte das Scharren der Brandung, ein leichter Schneefall setzte ein und so gewohnheitsmäßig, wie sich mein Körper an das Laufen erinnert hatte, kam in mir die alte Enttäuschung wieder auf, darüber, dass der große Umbau eben doch nicht stattgefunden hatte, sondern nur von mir zurechtgefiebert worden war.
    Wir machten am Ende der Straße kehrt und gingen zurück zum Haus, und als ich Richard durch das Gartentor gehen sah, seinen Schlüssel aus der Jackentasche hervorholen und die Haustür aufschließen, fühlte ich plötzlich einen massiven Widerstand dagegen, jemals wieder die Arbeit bei Herrn Letterau aufzunehmen.
    Es kam mir vollkommen unmöglich vor, überhaupt den Laden zu betreten, einen Ton oder eine Geste zur Begrüßung an Letterau in die Werkstatt hinein zu richten, meine Sachen an den Haken in der kleinen Kammer zu hängen, den Fernseher einzuschalten, aus dem Fenster zu schauen auf die gräulich weiße Fläche der See.
    Ich hatte mich nicht abgemeldet, und ich dachte: Ich melde mich auch nicht mehr zurück. Ich hatte genug.
    Richard verschwand im Flurdunkel des Hauses, und ich blieb eine Weile noch am Gartentor stehen, der Entscheidung nachfühlend, mit einer leisen Angst, sie könnte sich gleich wieder auflösen in ein vernünftiges Argument.

Abb. 26

Richard brauchte ich von meinem Entschluss nicht zu erzählen. Er sah es ja selbst, dass ich trotz zurückgekehrter Kraft morgens nicht mehr aus dem Haus ging. Außerdem hat er für diese Dinge ein sehr gutes Gespür. Häufiger als sonst schaute er mich jetzt etwas besorgt an, auch kritisch, es musste ja einiges neu verhandelt werden. Noch war er aber zu stolz, um mich direkt nach meinen Plänen zu fragen. Er wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr es ihn tatsächlich interessierte und dass es ihn wurmte, nicht zu wissen, was ich vorhatte.
    Einen konkreten Plan hatte ich anfangs auch noch gar nicht gefasst. Erstmal war es eine große Erlösung für mich, das bemerkte ich sofort, nicht mehr jeden Morgen bei Letterau die Geräte in Betrieb nehmen zu müssen, und ich glaubte, die Gedanken darüber, was zu tun war, würden im gleichen Maß ihre Form finden und annehmen, wie die Fernsehbilder in meinem Kopf langsam verblassten.
    Das würde dauern, dachte ich, aber ich stellte es mir gleich ganz plastisch vor, wie ein ausgiebiges Kauen, ein Trennen der Nährstoffe vom Exkrement in einem langen Prozess, der innerlich und voll automatisch ablaufen würde nach genetischem Programm. Ich wurde von dieser Vorstellung ganz euphorisch, horchte einige Tage lang erwartungsvoll in mich hinein und war sicher, dass etwas Sinnvolles entstand, dass wir uns wieder an einem Anfang befanden.
    In dieser Zeit glaubte ich nicht, dass eine Veränderung der äußeren Umstände nötig sei. Es war nur wichtig gewesen, im Haus meiner Eltern zu bleiben, wieder wachsam zu sein, den Posten an den Fenstern einzunehmen. Manchmal stieg ich auch aufs Dach, nahm Richard mit, wenn er Lust hatte, und ging dort oben mit ihm von einem Eck ins andere, wir machten reichlich Fußspuren im Schnee, schauten in die Nachbarschaft, stiegen wieder ins Haus hinab und verschlossen die Luke mit dem Riegel.
    Ich malte mir aus, dass ich Willy Helbig unterstützen könnte. Einfache Arbeiten für ihn erledigen, die ihm selbst zuwider oder lästig waren, weil sie ihn zuviel Zeit kosteten. Ich fand, dass ich handwerklich nicht völlig unbegabt war und etwas von manchen Dingen verstand. Und Helbig hatte gut zu tun, das war an seiner Werkstatt abzulesen. Ich würde, dachte ich, eine Bezahlung unterhalb des üblichen Tarifs akzeptieren. Ich dachte eh schon viel an Helbigs Haus, an seine Werkstatt und den Garten und fühlte mich mit alldem sehr verbunden und verwandt.
    Außerdem hatte ich in dieser Zeit ein Einsehen darin, dass ich vielleicht auch mit Richard etwas Hilfe gebrauchen könnte. Dass es unter Umständen schlecht für seine Entwicklung war, wenn er nur mit mir zu tun hatte.
    Wir sprachen kaum mehr als einzelne Wörter zueinander, sagten Vorsicht oder Hallo oder Gutenacht, Bitte, Nein, Tschüß, Danke, Kaffee, und ich machte mir ein wenig Sorgen, dass er vielleicht verkümmern könnte in dieser geistigen Unterforderung. Außerdem hatte ich den

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