Das kalte Schwert
gegangen war.
»Bitte?«
»Aus dem Grenzland. Gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, nicht wahr?«
Ringil kaute, schluckte und nickte.
»Ich selbst hab’ mich nie so recht dran gewöhnt. Diese ganzen Stimmen, die einen wegrufen.« Cortin stellte seinen Teller
beiseite und legte sich nachdenklich auf seinen vollen Bauch. »Natürlich ist es einfacher, wenn man in Gesellschaft ist, anders würden mich keine zehn Pferde da rausbringen. Allein dorthin zu gehen – das ist strikt Prinzen und Narren vorbehalten. Nichts für ungut – dem Breitschwert da entnehme ich, dass du ersteres bist.«
»War ein Geschenk«, sagte Ringil um ein Stück Brot und Speck herum.
»Oh.« Eilig. »Ja, aber trotzdem. Ein Mann von guter Herkunft, hab ich recht? Ich meine, die Bande vom schwarzen Segel kommt nicht für umsonst den ganzen Weg den Fjord herauf.«
Jemand auf der anderen Seite des Feuers hustete. Die Frau, die Ringil bedient hatte, schoss Cortin einen Halt-dein-verdammtes-Maul- Blick zu.
Ein paar Momente kaute Ringil gleichmäßig. Schluckte und wischte sich sorgfältig die Mundwinkel.
»Bande vom schwarzen Segel, hm?«
»Ja, Hjel ist unten und redet mit denen …«
Cortins Stimme versandete, als er endlich die Blicke mitbekam, welche die anderen ihm zuwarfen. Ein verlegenes Schweigen senkte sich über das Feuer.
Ringil brachte ein Lächeln zustande, stellte seinen Teller ab und rieb die Hände aneinander, als wetzte er ein Messer, um sich von dem Fett zu säubern.
»Na ja«, sagte er. »Ich geh mal besser selbst zu ihnen runter. Möchte sie nicht warten lassen.«
Was weniger Kühnheit erforderte, als er zunächst befürchtet hatte. Zusammen mit dem kalten, sauber gescheuerten Gefühl für die Dinge, mit dem er an diesem Morgen erwacht war, entdeckte er jetzt in sich einen frischen Schwung und den Willen, den nächsten Schritt zu tun, zu dem er nicht allzu sehr gedrängt
werden musste. In Stiefeln und Mantel, den Rabenfreund über die Schulter gehängt, ließ er sich von dem Impuls in seinen Adern und dem Gewicht des tödlichen Stahls auf seinem Rücken vorwärtstragen. Dieselbe Frau, die ihm das Frühstück gereicht hatte, wies ihm jetzt die Richtung. Er ging den Platz mit den Ruinen hinab, weiter an den verstreuten umgestürzten Mauern und Säulen vorbei und erreichte einen steilen Pfad, der sich an einem Felsvorsprung hinabwand und in der Nacht zuvor noch nicht dort gewesen war. Ein frischer Wind wehte vom Meer herein und zauste das lange Gras, heulte um Felsen und jagte über den silbern-grau glitzernden Fjord darunter. Er kniff die Augen gegen die Helligkeit zusammen. Entdeckte dort unten eine Art Landungssteg sowie eine schwarz aufgetakelte Karavelle fünfzig Meter weit draußen vor Anker.
Na schön.
Er schritt gleichmäßig hinab, seltsam im Einklang mit sich. Die Landschaft ähnelte stark Teilen der Halbinsel Gergis, und obwohl er sich nicht vormachte, in irgendeiner Weise daheim zu sein, war das halb Vertraute aufmunternd, wie die Kenntnis des Kampfstils eines Gegners vor einem Duell. Beim Herabsteigen entdeckte er Gestalten auf dem Landungssteg sowie ein dort vertäutes Dory. Reflexhaft, aus dem Instinkt des Kämpfers heraus, zählte er nach – sechs oder sieben, Hjel eingeschlossen. Sie hatten ihn anscheinend entdeckt und beobachteten, wie er zu ihnen herabkam.
Selbst auf diese Entfernung war etwas Merkwürdiges an ihnen, etwas Merkwürdiges daran, wie steif und aufrecht sie sich hielten.
Hjel eilte über die altersgebleichten Planken des Landungsstegs und erreichte ihn ein paar Meter weiter auf dem Pfad. Bemühtes Lächeln, eine dargebotene Hand. »Du bist wach.«
»Allerdings.« Er sah an den Schultern des jüngeren Magiers vorbei auf die anderen. Die dargebotene Hand nahm er nicht. »Das sind Freunde von dir?«
Es waren Leichname – Leichname großer Männer, von Kopf bis Fuß eingehüllt in Leichentücher, sodass kein Zoll Fleisch zu sehen war. Winzige lose Teile der Bandagen flatterten fröhlich im Wind. Es sah aus, als wäre ein kleiner Friedhof exhumiert und seine Bewohner mit Wimpeln aus fleckigem Grau und Cremefarbe besteckt worden.
Hjel räusperte sich. »Es sind … Agenten. Ich hatte schon in der Vergangenheit mit ihnen zu tun. Man kann ihnen vertrauen.«
»Na ja, wenn du das sagst.«
Der Prinz der Habenichtse nahm ihn drängend bei der Hand. »Sie bringen dich dorthin, wo du hinmusst, Gil. Glaub mir, ich bin einmal selbst mit ihnen gefahren. Du musst nichts
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