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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Geschichte erzählt werden könnte und stattdessen die endlose Weite unerzählter Möglichkeiten mit sich bringt, die umherhuschen wie Spinnen, um Aufmerksamkeit betteln, um eine kurzzeitige Existenz in seinen Augenwinkeln. Er sieht zurück zur Küste, wo Hjel auf den gealterten Planken des Landungsstegs steht – oder auch nicht. Der Strand ist leer.
    Er sieht andere, die gleichfalls dort stehen.
    Drei weitere Gestalten, eine zarte, eine breitschultrige und stämmige, eine hagere und große. Flackernd und grau, wie Hjel, aber während der Prinz der Habenichtse aufrecht und reglos beim Verschwinden dasteht, scheinen diese dort umherzujagen, als wären sie angekettet und wollten unbedingt die Freiheit.
    Die kalten Legionen hüllen dich ein …
    Der Himmel oben verändert sich, etwas braut sich zusammen  – es sieht nach Sturm aus, aber unheilvoll lautlos. Die Ruderer beachten ihn nicht, und ihr Kapitän gibt keine Bemerkung dazu ab – Ringil klammert sich noch einen letzten Moment an die kalte, harte Gewissheit, die er beim Erwachen gespürt hat, und dann lässt er los, und sie ist verschwunden wie ein Fisch im Wasser. Er blickt auf und erlebt ein Gefühl des Kippens.
    Die kalten Legionen …
    Wie auf ein Zeichen befreien sich plötzlich die drei rastlosen Gestalten auf dem Landungssteg, die wie graue Kerzen erscheinen,
und strecken sich übers Wasser aus wie die Schatten der ziehenden Wolken am Himmel. Ringil sieht ihnen benommen zu, als sie dem Boot nachjagen, als sie das Heck erreichen, als sie an Bord schlüpfen und sich eng um ihn legen, und er fährt zusammen, als wäre er gerade mit kaltem Wasser übergossen worden.
    Und sie sind verschwunden.
    Die schwarz aufgetakelte Karavelle ragt vor ihnen auf, eine Strickleiter hängt an einer Seite herab. Das ganze Schiff bebt, als wäre es zu fest mit etwas umwickelt worden, das jetzt ausfranst und im aufkommenden Wind flattert.
    Ringil steht da und wirft einen letzten Blick zurück auf den leeren Landungssteg. Dann packt er die Strickleiter und zieht sich an den nachgiebigen, feuchten Sprossen hoch, um nachzusehen, was ihn dort oben erwartet.

26
    Merkwürdig, dass Egar jetzt einzig und allein eine eisige Ruhe empfand.
    Als wäre alles um ihn her – der nächtliche verfallene Tempel mit seinen rissigen Mauern, die öde, staubknirschende Leere des Platzes – schon immer bloß eine Maske gewesen, deren Träger die Hand ans Visier gelegt und die Verkleidung abgelegt hätte und nun wild grinsend in der Düsternis dastünde.
    Als hätte er ihn die ganze Zeit über erwartet, diesen Dwenda.
    Er kam langsam die Treppe herab, ein funkelndes blaues Feuer, das sich hinter der Balustrade bewegte, die angedeuteten Umrisse einer dunklen Gestalt im Herzen. Sie schien zu singen.
    In Egars Rücken stieß Harath einen unterdrückten Fluch aus.
    Egar ließ das blaue Licht nicht aus den Augen. Er schüttelte die Hand des Mädchens mit einer einzigen, scharfen Bewegung ab. Schätzte den Winkel ein.
    Mach jetzt keinen Fehler, Drachentöter.
    »Harath, diese Dinger sind schnell«, rief er auf Majakisch. »Nimm dir eine Lanze von der Mauer da und halte dich bereit. Los!«
    Er wirbelte herum und sprang zu der Mauer und den beiden Stablanzen, die nach wie vor dort lehnten, wo Haraths ehemalige Kameraden sie nicht mehr hatten packen können. Ein leises
Geraschel von Kleidung neben ihm. Harath folgte ihm – und plötzlich war er froh darum, so furchtbar froh darum, dass der junge Mann so schnell war. Er schnappte sich eine der Lanzen. Glatte Holzfasern auf seiner Handfläche und das Gewicht des Dings – seine Lippen verzogen sich bei diesem Gefühl knurrend zu einem freudigen Grinsen. Festhalten und herumdrehen, einhändig, beidhändig, und herum und …
    Der Dwenda stand vor ihm.
    … blocken!
    Wie ein Kreischen durchfuhr es ihn beim Anblick der heranspringenden Schattenklinge. Das Wesen musste einen Satz direkt über die Balustrade gemacht haben, sanft und lautlos auf dem Boden aufgekommen sein und sich kaum einen Meter entfernt aufgerichtet haben. Beim Zusammenprall des Schwerts mit der Lanze durchlief ihn ein Beben, und die Hände schmerzten ihn. Grollend bückte er sich und stieß die Klinge zur Seite.
    Brüllend kam Harath von rechts heran.
    Der Dwenda bemerkte es und fuhr schnell wie eine Schlange herum. Von der dunklen Klinge tröpfelte ein Bogen blauen Feuers durch die Luft. Er schlug den Angriff des Ishlinaks beiseite.
    »Heilige Scheiße!«
    Haraths Ausruf der

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