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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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befürchten.«
    »Du willst mich loswerden?« Ringil brachte ein kleines Lächeln zustande. »War’s letzte Nacht so schlimm?«
    Hjels Griff wurde fester. »Ich würde dich bei uns behalten, wenn ich’s könnte. Das musst du wissen. Aber hier sind Kräfte entfesselt, über die ich keine Macht habe.«
    »Entfesselt, ja. So ähnlich wie mein Schwert heute früh – ich spreche jetzt vom Stählernen. Es hat dir gefallen, was du gesehen hast, nicht?«
    Hjel ließ seine Hand los. Trat einen Schritt zurück. »Ich bin nicht dein Feind.«
    »Du benimmst dich nicht gerade wie mein Freund.«
    »Gil, du hast es nicht verstanden. Etwas hat dich hergebracht. Ich sehe es, es atmet durch dich. Die kalten Legionen hüllen dich bereits ein. In der Klinge, die du trägst, ist eine Macht eingekerbt
und geschmiedet. Ich kann nicht lesen, was dort steht, aber …«
    »Ich bin willkommen im Haus der Raben und anderer Aasfresser in den Fußstapfen von Soldaten«, zitierte Ringil hohl. »Ich bin ein Freund von Aaskrähen und Wölfen. Ich bin Trage-mich-bei-dir und Töte-mit-mir und Stirb-mit-mir, wo die Straße endet. Ich bin nicht das honigsüße Versprechen eines langen Lebens in den kommenden Jahren, ich bin das eiserne Versprechen, niemals ein Sklave zu sein.«
    Es war, laut Archeth, eine rohe, schwerfällige Übersetzung und im Augenblick noch gröber, wenn er sie in das archaische Sumpf-Naomisch übertrug, damit Hjel die Worte verstand. Aber beim Sprechen lief es Ringil nach wie vor ein wenig kalt den Rücken hinunter.
    Hjels Gesicht entnahm er, dass der magische Prinz eine ähnliche Wirkung verspürte.
    »Das ist seine Widmung.«
    »Das ist sein Name«, berichtete ihm Ringil ausdruckslos. Hjel schluckte. »Du musst gehen. Ich kann dir hier nicht helfen. Ich werde dir helfen, das ganz bestimmt, ich sehe es ziemlich deutlich. Aber nicht hier. Es ist zu viel. Wenn das schwarze Segelschiff so herkommt, braut sich ein Sturm zusammen, und uns bleibt bloß noch, ihn auszureiten. Ich kann mich ihm ebenso wenig verweigern, wie eine Möwe ins Antlitz eines Hurrikans fliegen kann.«
    Hinter ihm kam eine der verhüllten Gestalten schweigend den Pfad herauf. Hjel erkannte entweder das Zucken in Ringils Blick oder spürte die Bewegung auf einer anderen Ebene. Er wandte sich halb um, drehte sich wieder zurück, nahm Gils Hand in seine Hände und hob sie an die Lippen.
    »Du wirst zurückkehren. Wir werden Zeit haben. Ich werde dich das Ikinri ’ska lehren.«

    »Das weiß ich.«
    Der verhüllte Leichnam ragte jetzt neben Hjel auf. Die Brise zupfte an seinen Stoffbahnen, und ein Wellenmuster durchlief das lockere Tuch. Ringil glaubte, das silbrige Glitzern von Augen irgendwo tief verborgen in dem Spalt zwischen den Bandagen über dem Gesicht zu erkennen, aber er hätte sich auch gut irren können. Wo der Mund hätte sein sollen, war ein einzelner breiter Gazeverband festgezogen worden, und etwas zuckte dahinter, als das Ding sprach.
    »Dauert das noch lange?«
    Unmöglich lässt sich der Klang der Stimme beschreiben. Sie fährt mit eiserner Gewalt durch den Wind, aber im Verborgenen hat sie auch andere Eigenschaften: überwiegend Belustigung sowie eine gewisse erschöpfte Geduld, aber Ringil weiß, dass ihm die Erkenntnis dieser hervorstechenden Merkmale entgleiten wird, ebenso wie das Bild des Wesens an der Wegkreuzung bereits verblasst und ein schwindender Traum ist. Zurückbleiben wird wiederum nur das Tasten nach verlorenen Einzelheiten.
    »Wir sind fertig«, sagt er knapp und entzieht Hjel seine Hand. »Wir können los.«
    »Gil, ich werde auf dich warten.«
    »Schön.«
    Er sieht weg, über die vom Wind aufgewühlten Wasser des Fjords hinaus. Er unterdrückt einen Stachel unvernünftiger Eifersucht. Was für ihn eine tote Erinnerung war, darauf würde sich Hjel erst noch freuen können.
    Das Ding in den Leichentüchern stößt einen diplomatischen Laut in der Kehle aus. »Wir müssen die Tide mitnehmen.«
    Ringil nickt, die Augen immer noch auf dem Wasser. »Dann bringt mich zu meiner Koje.«

    Er weiß immer noch nicht, was eine Tide ist, außer dass sie eine Veränderung vorhersagt.
    Aber Veränderung wird für den Augenblick genügen.
    Während er im Dory die umhüllten Gestalten beobachtet, wie sie sich schweigend in die Ruder legen, spürt er es – den herankriechenden Wechsel der Grenzländer, Seethlaws graue Orte, nenne sie, wie es dir beliebt, das Durchsickern wie kaltes Sumpfwasser, das alles Feste wegspült, das wie eine

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