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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Inmitten des ganzen Lärms hob Lady Quilien eine gepflegte Braue. Ringil öffnete eine Hand.
    »Nicht allein. Ich hatte ein wenig Hilfe.«
    »Welche Bescheidenheit! Vielleicht würde es Euch nichts ausmachen …«
    »Riff! Riff an Steuerbord!«
    Herabgebrüllt aus dem Krähennest, umweht von einem leichten Hauch Panik, weil – Ringil begriff die Tatsache mit einer Selbstgefälligkeit, die ausdrücken sollte: »Hab’s Euch ja gesagt!«, und einem Nicken – dieses Riff auf keiner Karte der Gegend verzeichnet war.
    »Riff!«
    Die Mannschaft wirbelte herum, sprang nach der Takelage oder rannte los, die Schiffsoffiziere holen. Ringil ergriff die Gelegenheit und trat an die verlassene Reling.
    »Das ist kein Riff«, sagte er zu niemandem im Besonderen.
     
    Als im Sommer ’49 die riesigen treibenden Flöße aus purpurschwarzen Meeresabfällen an den Westküsten antrieben, erkannte niemand darin eine Invasion.
    Allerdings war der Anblick dieser Dinger, die aussahen wie doppelt mannshohe Kissen aus ineinander verwobenem, blühendem Seetang, und sich, so weit das Auge reichte, am Strand türmten, schon ein gewaltiger Schock. Sie stellten auch für die Städte ein Problem dar, die vom offenen Zugang zu den Stränden und Buchten lebten, denn diese waren jetzt über und über davon bedeckt, und das Zeug, was es auch sein mochte, ließ sich anscheinend weder verbrennen, noch ernten und essen. Und es war eine größere Unannehmlichkeit für die Schifffahrt,
nicht zuletzt dann, wenn eine dieser kolossalen Matten in die Einfahrt eines größeren Hafens trieb oder sich in einem Kanal zwischen den Untiefen im Meer verfing. Die Versicherungen in Trelayne schluckten heftig, faselten etwas von Erstattungen und fassten ihre Geschäftsbedingungen neu. In Yhelteth machte die Gilde der Kaufleute allem Anschein nach etwas Ähnliches durch. Sowohl auf den Gebieten der Liga als auch des Reichs packten einige Dutzend Dörfer ihre Sachen zusammen und zogen auf der Suche nach neuen Fischgründen oder Gezeitentümpeln um, nördlich oder südlich entlang der Küste. Hier und dort verhungerten ein paar Leute, aber nicht genügend, um seitens einer der beiden Mächte eine militärische Intervention zu rechtfertigen.
    Oben am Strovmarkt sagten die Hellseher den Untergang voraus  – aber das taten sie ja eigentlich immer.
    Und an den verlassenen Küstenstreifen ragten die purpurschwarzen Wälle in triefender Stille empor und warteten.
    Fast vier Monate dauerte es, bis der Erste schlüpfte.
     
    Lady Quilien von Gris lehnte neben ihm an der Reling und sah zu, wie sie das Treibgut erreichten. Der Irrtum des Ausgucks war nur allzu verständlich. In der Dunkelheit sah es so aus, wie alle frei liegenden Riffe ausgesehen hätten, eine dunkle schartige Masse, die sich, umgeben von weißer Gischt, aus dem Wasser hob.
    Inzwischen war der Drachengestank jedoch überwältigend.
    »Also war es am Ende doch nicht die Eilige Dämmerung«, sagte sie im Plauderton.
    »Die Eilige Dämmerung ist ein Mythos, Mylady.« Er sah sie nicht an. Er war damit beschäftigt, die Erinnerungen, die der Geruch hervorrief, niederzukämpfen. »Das Übliche. Ein zum
Untergang verurteilter yheltethischer Gewürzklipper, von einem Herrn und Kommandanten in die Felsen gejagt, weil er unbedingt die Konkurrenz auf dem Markt von Trelayne abhängen wollte. Es ist eine Geschichte, die ersonnen wurde, um Schiffsjungen bei der mitternächtlichen Wache zu erschrecken.«
    »Ja, ich glaube, sie gehört zu haben. Wir in Gris sind nicht so hinterwäldlerisch, wie Ihr vielleicht meint. Der Kapitän hat einen magischen Sturm heraufbeschworen, um seine Fahrt zu beschleunigen, nicht wahr? Und der salzige Herr hat ihn wegen dieser Anmaßung versenkt und ihn dann dazu verdammt, auf alle Ewigkeit mit seinem Schiff vor dem Wind zu segeln, nicht wahr?«
    »So ähnlich.«
    »Und jetzt soll, auf Grund irgendwelcher Umstände, eben dieser Wind den Geruch seiner letzten Fracht herbeitragen. Es ist eine Warnung an …«
    »Es ist sinnloses Garn, das ist es, Mylady. Unwissendes Geschwätz, das Erklärungen liefern soll in einer Welt, die sich gegen eine robustere Interpretation sträubt.«
    »Geschwätz, zu dem Ihr Euch nicht herablasst, wenn ich es recht verstehe?« So etwas wie Entzücken schlich sich in ihre Stimme. Dilettantisches Lästern im Salon musste unter den oberen Zehntausend in Gris ebenso weit verbreitet sein wie sonst überall auch. »Ihr weigert Euch, an den dunklen Hof zu

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