Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
Vom Netzwerk:
noch zügeln. Musste ihre Zunge mächtig im Zaum halten. »Wir werden ein Exempel statuieren, sobald die Sonne aufgeht. Und das wird sich für die Zukunft herumsprechen: Niemand, niemand, aus einer meiner Karawanen entkommt den Ketten und überlebt.«
    Der Beauftragte stammelte etwas auf Thetannisch. Sie beherrschte die Sprache nicht so gut, dass sie ihn hätte verstehen können, vermutete jedoch eine Beleidigung. Inzwischen war es ihr gleichgültig. Wenn Hinerion Hilfe geschickt hatte, bestand eine gewisse Chance, heute hier herauszukommen. Wenn nicht, dann würde sie diesem Wachkommandanten mal kräftig den Marsch blasen. Sie streckte die Hand nach den erlöschenden Scheiten eines Lagerfeuers aus und spürte den schwachen
Hauch von Wärme, den es nach wie vor in die morgendliche Kühle abstrahlte. Sie holte Luft und wollte sprechen.
    Der Neuankömmling gab nicht im Geringsten zu erkennen, dass er ihre Ankunft bemerkt hatte – er stand mit abgewandtem Gesicht da und streckte die gespreizten Hände dem erloschenen Feuer entgegen. Offenbar spürte er die Kälte ebenso und wollte etwas von der restlichen Wärme aufsaugen. Prächtiger schwarzer Brokat über den breiten Schultern eines Schwertkämpfers sowie etwas, das wie eine kiriathische Klinge und Scheide aussah, auf dem Rücken. Xanthippe blinzelte, widerwillig beeindruckt. Wenn die Waffe echt und keine der billigen Imitationen war, welche die Schmieden seit dem Krieg in der ganzen Liga ausstießen, dann war ihr Gast allerdings von edler Herkunft. Niemand sonst außerhalb des Reichs hätte sich kiriathischen Stahl leisten können, und in den freien Städten war er so ungefähr das höchste Statussymbol. Selbst in Trelayne führten nur eine Handvoll Männer …
    »Hallo, Xanthippe!«
    Sie wurde sehr still. Allein diese Stimme, aber dann wandte er sich langsam zu ihr um.
    Dieses Gesicht.
    In Trelayne hatte man ihr gesagt, er habe sich verändert. Diejenigen, die ihn gesehen hatten, diejenigen, die behauptet hatten, ihn gesehen zu haben. Die Geschichten waren allesamt so ziemlich die gleichen. Narbengesichtig, leeräugig, unheimlich – alle Züge des jungen Kriegers, der das schuppige Volk von den Mauern der Stadt zurückgeworfen hatte, waren jetzt von innen heraus von etwas weggefressen, für das die Menschen keinen Namen hatten. Damals hatte sie höhnisch gelacht – es war dieselbe Leier, die sie für jeden Straßenräuber, Sumpfbewohner oder Küstenpiraten spielten, den die Wache noch der Gerechtigkeit
zuführen musste. Einleuchtend – man musste etwas Handfestes haben, warum man sich von ihm niederstarren ließ und warum er entkam. Warum er, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, immer wieder durch die Finger der Gerechtigkeit glitt. Warum die Männer unter dem eigenen Befehl nicht ausreichten, warum die Kopfgeldjägerklinge der Aufgabe nicht genügte, diesen einen zur Strecke zu bringen.
    Unheimlich. Bestimmt. Glamourös, schattenhaft und unmenschlich. Geht durch Wände.
    Ein Haufen Schwachsinn.
    Vielleicht, gab Findrich zu, als sie es eines Abends im Vorfrühling durchgesprochen hatten. Aber trotz alledem haben wir unseren Dwenda-Schutzpatron verloren, unseren absolut eigenen Durch-Die-Wände-Geher, und die Gerüchte besagen, dass es Ringil war, der ihn zur Strecke gebracht hat. Es heißt …
    Oh, es heißt! Es heißt? Verdammt, jetzt halt doch mal die Luft an! Wann wiegt sich der Mob nicht mit Folklore und Wunschdenken in den Schlaf? Meinst du wirklich, wir könnten diese Idioten so beherrschen, wie wir es tun, wenn sie nicht ihre Mythen hätten, um die sie sich nachts am Feuer schmiegen könnten?
    Sie kannte Ringil Eskiath, vielleicht sogar intimer als jeder sonst lebende Mensch, und sie hielt es nicht für wahrscheinlich, dass er sich sehr von dem arroganten Aristokratenschwanz unterschied, der er immer gewesen war. Ein wenig älter und kälter mit den Kriegsjahren vielleicht, aber wer war das nicht.
    Als sie jetzt seinem Blick begegnete, war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher.
    »Ringil«, brachte sie weltmännisch heraus. »Muss ich etwa dir für diese spontane Unterbrechung danken?«
    »Nein. Auf die Idee sind sie selbst gekommen.«
    Die Stimme war leise, heiser, kaum lauter als ein Flüstern,
und die hohlen Augen hätten vielleicht durch sie hindurchsehen können. Er trug das lange schwarze Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz, und diese Narbe, von der alle redeten, war ein leichenblasser Kratzer entlang der Kinnlinie, ihr offensichtlich zur

Weitere Kostenlose Bücher