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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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Tapisserie eines Alltagslebens erschuf. Sie wussten es, und sie hatten es geschehen lassen, und sie lebten täglich mit der Schuld, und ihre ozeanische Selbstgefälligkeit wurde immer wieder von Stürmen zurückgetrieben, die ihre Riffe der Erinnerung und Sorge bloßlegten. Oder sie sprachen, weil ein Patriarch es so angeordnet hatte, ihren Namen überhaupt nicht aus, allenfalls flüsternd.
    Wie dem auch sei, sie hatten sie im Stich gelassen; hatten es für ihre beste Strategie gehalten.
    Wenigstens hatte sie den Hund.
    Komisch, den Hund hatte er völlig vergessen.

16
    Bei ihrer Rückkehr exekutierte seine imperiale Lichtgestalt Jhiral Khimran II. gerade Verräter im geheimen Besprechungsraum.
    Archeth hätte Anasharal sowieso zum Palast hinaufgebracht. Sie kannte den Imperator seit dessen Kindheit, hatte seinen Aufstieg auf den Thron verfolgt – offensichtlich mit weniger Illusionen als der Rest des Hofs, weil sie anscheinend als Einzige nicht über die darauf folgenden Säuberungsmaßnahmen entsetzt war –, und sie wusste, dass er den Steuermann zu sehen wünschte, sobald er von ihm gehört hätte.
    Vielleicht setzte er sogar die Exekutionen aus.
    Also schritt sie ohne jegliche Begeisterung durch die marmorverkleideten Gänge im Salakflügel des Palastes. Ging tiefer und tiefer hinein und auf die Schreie zu, während das Verlangen nach Krinzanz wie ein Messer an ihren Nerven kratzte. Die glänzenden Bauten mit den glatten Wänden schlängelten sich in üppiger Blässe dahin. Es herrschten gedämpfte Jade- und Bernsteintöne vor, die jedoch an einigen Stellen mit kräftigem Kupfer oder Schwarz geädert und hin und wieder mit Beutestücken durchsetzt waren – Kunstwerke und Skulpturen aus allen Ecken und Enden des Reichs, in Nischen gestopft oder an Wände genagelt, die dafür eigentlich nicht geeignet waren.
    Und das Geschrei und das Flehen um Gnade hallte von dem
polierten Stein wider, jagte einander die Flure hinab, lauerte auf sie, wenn sie um eine Ecke bog, wie die Geister der Toten, irgendwie gefangen im Marmorherz des Imperiums, das sie bezwungen hatte.
     
    Die salakischen Steinmetze und Architekten, die Erbauer des geheimen Besprechungsraums, hatten angeblich Selbstmord begangen, nachdem sie erfahren hatten, was mit ihrer Arbeit geschehen war. Damals war Archeth ein Kind gewesen und würde es daher nie genau erfahren. Als sie größer wurde, hatte sie jedoch eine etwas pragmatischere Wahrheit hinter der Geschichte vermutet: dass seine imperiale Lichtgestalt Sabal Khimran I. die Handwerker hatte ermorden lassen, damit sie mit absoluter Sicherheit nie verrieten, was sie über die verschiedenen architektonischen Tricks und Geheimnisse wussten, die sie so liebevoll erschaffen hatten.
    Das wäre ihm bestimmt zuzutrauen, diesem alten Scheißer mit dem bösartigen Blick!
    Sabal der Eroberer war der erste der Khimrans gewesen, der die Bezeichnung ›Imperator‹ wirklich verdient hatte. Er war gestorben, bevor sie ein Teenager geworden war, und hatte draußen an den Grenzen der östlichen Wüste die eine oder andere Rebellion niedergeschlagen. Aber sie erinnerte sich immer noch daran, wie er sie als kleines Kind hochgehoben hatte, erinnerte sich an den geheimnistuerischen Ausdruck auf seinem Falkengesicht, als wäre sie eine unglaublich kostbare Vase und er überlegte, sie auf dem Fußboden zu zerschmettern; ein rascher und brutaler Streich, wenn niemand hinschaute.
    Viele Jahre später hatte sie ihren Vater danach gefragt, als die Trauer um den Tod ihrer Mutter die Erinnerung an die Oberfläche geholt hatte. Aber Flaradnam war selbst tief in seinen Kummer
versunken gewesen und wollte über bittere einsilbige Äußerungen hinaus nicht über Sabal reden. Er hätte es nicht gewagt, war alles, was sie aus ihm herausholen konnte. Er brauchte uns – damals brauchten sie uns alle –, wie sie es jetzt immer noch tun. Die ganze verdammte Dynastie stützt sich auf uns wie auf eine Krücke. Und Sabal wusste, ich hätte ihm das beschissene Herz aus dem Leib gerissen, wenn er dir ein Härchen gekrümmt hätte.
    Flaradnam überlebte seine Trauer und schob sie schließlich beiseite – oder lernte zumindest, sie für längere Zeit unbeachtet zu lassen –, aber sie sprachen nie mehr so richtig über Sabal. Die frühen Exzesse des Reichs waren in seinen Gedanken anscheinend unausweichlich mit Nataras Tod verbunden, und er umschiffte sie im Gespräch, sobald die Rede darauf kam. Und dann musste man auch noch die ganze

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