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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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glaubte sie, ihn zu erkennen. Obwohl sie sich wegen der Male, die Peitsche und
heißes Eisen hinterlassen hatten, und dem vor Entsetzen verzerrten Gesicht nicht völlig gewiss sein konnte.
    Sie räusperte sich – etwas schien ihr in der Kehle zu kleben – und versuchte es erneut, lauter.
    »Mylord!«
    Er wandte sich um. Der schwere Seidenumhang streifte raschelnd über den Marmorboden, die hübschen Züge waren leicht umwölkt und die Stirn gefurcht wie bei einem Mann, der mit seiner Buchführung kämpfte, der er nicht so recht etwas abgewinnen konnte. Seine Stimme trug mühelos. Er war an so etwas gewöhnt.
    »Ah, Archeth, da bist du ja. Es hieß, du seist auf dem Weg. Aber ich bin gerade im Augenblick etwas beschäftigt, wie du siehst.«
    »Ja, Sire. Das sehe ich.«
    Das letzte Exekutionsbrett war ein altes, graues Holzbrett, aufgequollen und zersplittert vom wiederholten Untertauchen, die Schraubplatten für die Fesseln gefleckt mit orangefarbenem Rost. Das Brett, dachte sie nicht zum ersten Mal, sah aus wie ein großzügig aus einem riesigen Schimmelkäse herausgeschnittenes Stück. Breit am oberen Ende, damit der Kopf des Opfers ein paar Fuß über der Wasseroberfläche blieb, und zum unteren Ende hin schmaler werdend, sodass die gefolterten, gefesselten Füße untergetaucht wären und sich langsame Ranken aus Blut ins Wasser winden konnten.
    Die Teichbewohner waren schlau – Mahmal Shanta schwor, er hätte sie einmal dabei beobachtet, wie sie junge Heuler von den Stränden bei Hanliagh ins Wasser gelockt hätten –, und sie kannten den Laut der Unterwassergongs, die in den Teich abgesenkt wurden, gut genug, um zu wissen, dass eine Exekution bevorstünde. Sie hatten sich an diesem Morgen durch die
Unterwasserschächte an der Basis des Raums hereingequetscht und seitdem unter der Oberfläche gewartet.
    Wenn das erste Brett aufs Wasser traf, wären sie ausgehungert.
    Und dann konnte Archeth den perversen Drang nicht länger unterdrücken, konnte nicht weiterhin wegsehen. Ihr Blick glitt hinaus aufs Wasser zu den vier Brettern, die bereits mit ihrer schrecklichen, schreienden, rot-schlüpfrigen, sich windenden Fracht dort trieben.
    In der Wildnis hätte ein schwarzer Oktopus aus Hanliagh seine Tentakel um ein Opfer von dieser Größe geschlungen und es in die Tiefe hinabgezogen, wo es ertrinken würde und wo er leicht damit fertig werden könnte. Da das auf und nieder wippende Holz und die Fesseln dieses vereitelten, umschwärmten die Kreaturen die Bretter und rissen mit wilder Heftigkeit an den gefesselten Leibern, saugten an ihnen und bissen sie ungeschickt mit ihren Schnäbeln. So erbeuteten sie große Streifen Haut zusammen mit kleineren und größeren Brocken Fleisch, bis schließlich die Knochen blank lagen. Blutgefäße zerrissen – bei ein paar wenigen Glücklichen tödlich. Und hin und wieder erstickte ein Opfer durch das Gewicht von Tentakeln oder Leibern auf dem Gesicht. Aber für die meisten war es ein langer, langsamer Tod durch planloses Schinden und Flensen. Keine der Kreaturen war größer als ein höfischer Jagdhund, sonst hätten sie sich nicht durch die Schächte der Kammer quetschen können, und selbst ihre vereinten Bemühungen reichten selten aus, der Sache ein gnädiges Ende zu bereiten.
    Jhiral beobachtete sie.
    Sie zwang sich, den Blick nicht abzuwenden – von der Blutgischt, von den Tentakeln, die wie dicke schwarze Peitschen auf und nieder zuckten, von den weichen, purpur-schwarzen Gestalten, die an Holz und Fleisch hingen oder darüber
hinwegkrochen. Ihr Blick blieb an einem wilden, weit aufgerissenen menschlichen Auge und einem kreischenden Mund haften, kurz überdeckt von einem dicken, kriechenden Tentakel, dann wieder entblößt, und kreischend, kreischend, kreischend.
    Sie wandte sich ab und begegnete Jhirals Blick. Nahm die dazu nötige entspannte innere Haltung an. Langsam, Archidi, langsam. Hielt seinen Blick, hielt den Moment wie eine Messerklinge, locker zum Wurf. Ein Kämpfertrick – lenke die Geräusche weg zum Rand deiner Aufmerksamkeit, wie den Schmerz geringfügigerer Verletzungen, wenn du dich in der Schlacht zusammenreißen musst.
    Jhiral winkte ungeduldig.
    »Also?«
    »Wir haben einen neuen Steuermann gefunden, Mylord. Er spricht von Bedrohungen für die Stadt, für das Reich.«
    »Einen neuen Steuermann?« Jhirals Brauen schossen nach oben. »Einen neuen?«
    »Genau, Mylord.«
    Jhiral warf einen Blick auf den letzten verurteilten Mann, auf die

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