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Das kalte Schwert

Das kalte Schwert

Titel: Das kalte Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Morgan
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mit dem Schmerz umgehen, hast dich von der Strömung tragen lassen und dir genommen, was sie dir unterwegs anbot; du hast dich zum Beispiel unter das feuchte Segeltuch der Sumpfbewohner gelegt wie in einer Fluchtfantasie aus der Kindheit, hast dich mit dem heißäugigen Prinz der Lumpensammler hingelegt, der nach nasser Erde und Holzrauch roch und alle möglichen nützlichen Zaubertricks mit Pflanzen und Tieren kannte.
    Und dann bist du erwacht, unzählige Tage und Nächte später, und dein Gefährte war mit seinem Zelt und Wagen und dem Rest seines schmuddeligen Klans verschwunden, und die grauen Plätze waren, wie so oft, mit ihnen verschwunden, niedergebrannt zu dem hart versiegelten Material des Teils der wirklichen Welt, an den du in deinen Träumen angeschwemmt worden bist – dann hafteten nur noch die Düfte des Ficks auf deiner Haut, und das Ikinri ’ska, in deiner eigenen Wirklichkeit nicht mehr wert als ein Mythos und ein Aberglaube der Sumpfbewohner, lag fest in deinem Kopf und so wirklich wie eine Klinge …
    Der Wolf, oder Hund, den das alles vielleicht langweilte, zuckte mit einem Ohr und wandte den langen grauen Kopf ab. Er gähnte, zeigte dabei feuchte weiße Fänge wie zur Inspektion, schloss
die Schnauze mit einem hohlen Schnappgeräusch und trat von ihm weg, zurück ins Zimmer. Ringil, der allmählich den Verdacht hatte, dass der Rum letztlich keine gute Idee gewesen war, folgte dem Tier einen behutsamen Schritt nach dem anderen.
    Im hinteren Teil des Zimmers gab es eine Ecke zum Waschen und Ankleiden, abgeschirmt durch einen geöffneten eisernen Faltrahmen, der dick mit Musselin behängt war. Der Hund ging zur Öffnung des Paravents, spähte hinein und sprang dann auf eine hohe Plattform hinter den Vorhängen. Ein unscharfer Schatten bewegte sich über den Stoff, und eine Frauenstimme trieb träge zu ihm heraus.
    »Ihr wünschtet mich zu sehen?«
    Ringil räusperte sich. »Ich bin von der Gunst der Sumpfkönigin hergekommen. Unsere Abfahrt ist vorverlegt worden.«
    »Wirklich?« Der jähe Hauch eines städtischen Tonfalls. »Und da habe ich doch gedacht, man habe mir zu verstehen gegeben, dass wir nicht eher abfahren müssten, bis ich die Güte hätte, mich morgen früh an Bord zu zeigen. Euer Kapitän ist ein launischer Mann, wenn seine Börse gefüllt ist.«
    »Er ist nicht mein Kapitän.«
    »Aber launisch ist er trotzdem.«
    »Möglich, Mylady. Ich weiß es wirklich nicht.« Ein Hauch bei Hofe erworbener Manieren wollte sich bei diesen Worten durchsetzen. Es war ein Teil seiner selbst, den er von Zeit zu Zeit hervorholte, wie ein vom Alter abgenutztes Andenken aus seiner Jugend, und er war jedes Mal überrascht zu entdecken, wie sehr er es vermisste. »Aber obwohl es mich schmerzt, die Botschaft zu überbringen, fürchte ich doch sehr, dass Eure Ladyschaft sich vor dem Morgengrauen an Bord einfinden müsste, oder das Schiff wird ohne Euch absegeln. Ich habe Männer mitgebracht, die Euch beim Transport Eurer Habseligkeiten helfen können.«

    Eine kurze Pause.
    »Na ja. Sie haben mir einen Ritter als Botschafter geschickt. Und ich habe vermutlich weniger höfische Manieren Euch gegenüber gezeigt.«
    Erneut eine Bewegung des Musselins. Lady Quilien von Gris trat hinter dem Schirm hervor und schritt auf ihn zu, wobei sie mit einer Hand ihr zerwühltes dunkles Haar mit einem Handtuch trocknete. Abgesehen von diesem scharlachroten Flanellhandtuch war sie völlig nackt. Sie bot ihre freie Hand auf …
    Nackt?
    Sie hatte es mit solcher Souveränität getan, solch völliger Achtlosigkeit oder völligem Mangel an Befangenheit, dass er diese ersten paar Schritte und die ausgestreckte Hand benötigte, bis er die Tatsache begriffen hatte. Er vermutete, einem Mann mit etwas konventionellerem Appetit wäre es rascher aufgefallen  – jugendliche Brüste, Bauch, Schenkel, alles offen präsentiert  –, aber selbst in diesem Fall fragte er sich, wie viele solcher Männer darauf vorbereitet gewesen wären, dass dieses Wesen seinen Zustand der Bekleidungslosigkeit dermaßen missachtete. Ringil hatte eine Anzahl erfolgreicher lockerer Weiber kennengelernt, darunter zahllose von Adel, und ein paar, an die er sich erinnerte, hätten keinerlei Problem damit gehabt, einen solchen Trick durchzuziehen, wäre es der richtige Besucher in ihren Räumlichkeiten gewesen. Aber in all jenen Frauen, im Herzen all ihrer Schliche und Schauspielerei, hatte immer der kokette Blick, der geneigte Kopf, das intime Signal

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