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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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ich alle Leute, mit denen
ich mal Krach angefangen habe, anschließend erschossen hätte, wäre ich
Massenmörder.«

    Der Pastor sagte nichts. Er lutschte einen neuen Stumpen
an, und Katharinas Disi zog Tränen und Rotz in der Nase hoch.

    »Hat man Beweise? DNA-Spuren, die Tatwaffe, irgendwas?
Oder hat jemand sie am Tatort gesehen?« Hannes konnte Katharina nicht als kühle
Killerin denken.

    Der Seelsorger, von dem Schreiber noch immer nicht
wusste, wie er hieß, zuckte mit den Schultern.

    »Hat Katharina denn keinen Anwalt?«

    Sara Orend hatte sich inzwischen so weit erholt, dass sie
wieder sprechen konnte. Ihre brüchige, kleine Stimme erinnerte Schreiber kaum
an die selbstbewusste Frau, die er vor einer Woche angetroffen hatte. »Wir
haben hier keine Erfahrung mit dem, Herr Schreiber. Advokaten hat es nur in
Kronstadt. Das sind geschliffene, studierte Menschen. Die versprechen das Blaue
vom Himmel und ziehen dir das letzte Hemd aus.«

    »Trotzdem braucht Katharina einen Verteidiger. Kennen Sie
keinen zuverlässigen, Herr Pastor?«

    »Das Juristische macht der Bischof für uns. Der sitzt in
Hermannstadt.«

    »Und was ist mit der deutschen Botschaft?«

    Der Pfarrer schaute erstaunt. »Dahin haben wir uns noch
nicht gewandt. Wir sind rumänische Staatsbürger.«

    »Katharina ist Deutsche, nehme ich an. Als sie mit den
Eltern nach Deutschland gezogen ist, hat sie sicher die deutsche
Staatsangehörigkeit gekriegt.«

    Sara Orend nickte.

    »Ich setze mich mit der Botschaft in Verbindung«, sagte
Schreiber, »und Sie, Herr Pfarrer, sollten sich um einen Besuchstermin bei
Katharina kümmern. Als Seelsorger lässt man Sie sicher zu ihr. Wenn’s eben
geht, möchte ich mitkommen. Zur Not als Ihr Vikar. Ich komm aus einem
evangelischen Elternhaus und bin vergleichsweise bibelfest.«

    »Wie stellen Sie sich das vor? Ich weiß nicht mal, wo sie
sitzt.«

    »Dann finden Sie es heraus. Rufen Sie bei der Polizei an.
Die müssen Ihnen das sagen.« Der Gottesmann ging dem Reporter langsam auf die
Nerven.

    Schreiber legte seine Hand auf Sara Orends Hände, die,
das verheulte Taschentuch umschließend, in ihrem Schoß ruhten. »Kommen Sie,
Frau Orend, ich fahre Sie jetzt nach Hause. Sie müssen sich mal ausruhen. Der
Herr Pfarrer und ich, wir kümmern uns um Ihre Enkelin. Wir holen Treni da raus.«

    Die alte Frau sah ihren Seelsorger fragend an. Als der
nickte, stand sie auf, strich ihre Kittelschürze glatt. »Wir telefonieren
morgen, Herr Pastor«, sagte Schreiber und legte seine Visitenkarte auf den
Schreibtisch. »Frau Orend wird Ihre Nummer ja haben.« Dann ging er mit Sara zum
Wagen und fuhr sie zu ihrem Hof in der Hintergasse. Sie schloss die Tür auf und
bat den Reporter hinein.

    »Ich mach uns gleich Abendbrot«, sagte sie, »vorher muss
ich meine Tierchen füttern. Die können ja nichts dafür, die armen Viecher.«

    Sie wieselte über den Hofplatz, warf ihren Hühnern
Maiskörner vor und fütterte den Kettenhund mit einem Kanten Brot. Die Katzen
strichen um ihre Beine, bis auch sie ihr Fressen hatten. Der schwarze Kater,
den die Alte »Othello« rief, bekam noch einen Extrahappen. Schreiber setzte
sich auf die Treppe in die Abendsonne, während Sara Orend im Schweinestall
wirtschaftete. Dies war immer noch ein toller Ort, aber genießen konnte er ihn
nicht. Er rauchte hektisch und drückte die Kippe zwischen den Steinen aus.

    Es gab keinen Palukes. Frau Orend nahm ein Brot vor die
Brust und säbelte ein paar Scheiben davon ab. Sie stellte Käse auf den Tisch,
legte ein Stück Hartwurst daneben und kochte Tee. »Den sammel ich selbst«,
sagte sie. Es war der beste Kräutertee, den Hannes je getrunken hatte. Das
wollte nicht viel heißen. Schreiber war nicht der Kräuterteetyp.

    Sie aßen schweigend ihr Abendbrot, das heißt, er aß und
Sara Orend mümmelte ein wenig an einer Schnitte herum. »Sie würd so was nie tun«,
sagte sie schließlich. »Sie ist ein reiner Engel, meine Treni. Sie ist nie
mürrisch. Sie hat so fleißige Händchen. Die ist nie müde. Als Mädchen war sie
viel bei mir. Die Eltern hatten beide ihren Dienst in Kronstadt. Da ist sie
praktisch bei mir großgewachsen. Ich kenn doch meine Treni.«

    Hannes hatte fürs Magazin viele Menschen porträtiert, die Verbrechen begangen hatten. Er hatte
gerichtspsychologische Gutachten über Totschläger studiert und sich den Hintern
in Mordprozessen viereckig gesessen. Er fand es spannend, herauszufinden, wie
aus Kindern ›Killer‹ geworden waren.

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