Das Karpaten-Projekt
»Aber bei Ihnen liegt die Sache ja
anders. Sie sollen einen Menschen kaltblütig ermordet haben. Schreibt die polit ia. «
Katharina meinte, im letzten Halbsatz der Knastchefin
einen ironischen Unterton herausgehört zu haben, eine Art subkutaner Botschaft.
Vielleicht hatte sie die auch nur hören wollen. Auf ihrem Bett unter der
Zellendecke, im Ausdunst von zweiundsiebzig Leibern, half ihr ein Anflug von
Ironie im Ton der Gefängnisdirektorin auch nicht. Sie überlegte besser, wer
oder was ihr wirklich helfen könnte. Ihr fiel verdammt wenig ein.
Es fing schon damit an, dass vielleicht gar niemand von
ihrer Verhaftung wusste. Katharina schüttelte den Kopf. Die Polizei würde ihre
Inhaftierung als großen Erfolg verkaufen, da war sie ziemlich sicher. Das würde
die Disi natürlich mitbekommen. Die Oma schaute jeden Mittag und Abend die Nachrichten.
Wahrscheinlich würde sie weinend zum Pfarrer laufen und ihn um Hilfe bitten.
Katharina kannte den Pfarrer von Wolkendorf. Er hatte sie konfirmiert. Dass er
mehrfach auf der Kanzel eingeschlafen sei, hielt sie für ein Gerücht, das die
orthodoxe Konkurrenz in die Welt gesetzt hatte. Pfarrer Arning bot sich für
solchen Spott allerdings an. Mehr als Trost für die Disi erwartete sie von ihm
nicht.
Alles kam darauf an, dass ihre Verhaftung in Deutschland
bekannt wurde. Vier Tatzen, die Tierschutzorganisation,
die ihre Stelle finanzierte, würde vielleicht bei der Regierung Radau machen.
Sie hatten gute Beziehungen ins Unterholz des Umweltministeriums. Vielleicht
würden die sich ans Außenministerium wenden. Rumänien wollte unbedingt in die
EU. Einen Justizskandal mit einer deutschen Staatsbürgerin als Opfer konnten
die Rumänen zurzeit nicht brauchen.
Stopp, sagte Katharinas Gehirn seiner Besitzerin an
dieser Stelle. Werd nicht größenwahnsinnig. Die große Politik hat anderes zu
tun, als sich um die kleine Treni im Knast von Targsor zu kümmern. Du bist
nicht der Mittelpunkt der Welt. Die Stimme kam Katharina bekannt vor. Sie hörte
sich sehr nach ihrem Vater an. Von dem erwartete sie gar nichts außer: Ich habe
dich immer vor den Rumänen gewarnt. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören.
Von ihrem Alten hatte das Gehirn es nicht weit zu Hannes
Schreiber, dem Reporter, der so alt war wie ihr Vater. Wenn der von ihrer
Verhaftung erführe, käme er zurück nach Rumänien. Dessen war sich Katharina
sicher. Warum, wusste sie nicht genau.
Sie musste noch einmal zur Toilette, wartete mit einem
Dutzend anderer Frauen vor dem Vorhang, der die Kloschüssel vom Rest der Zelle
trennte. Es roch streng, aber das war sie vom Plumpsklosett im Garten der Disi
gewohnt. Nach dem Pinkeln wusch sie sich am Waschbecken. Das lauwarme Wasser
erfrischte sie nicht, aber es spülte das Salz der Tränen aus ihrem Gesicht.
Verkatert und müde wie nach einer durcharbeiteten Nacht
schlich sie zurück zu ihrem Bett, den Blicken ihrer Leidensgenossinnen wich sie
aus. Sie wollte niemanden sehen, mit keiner sprechen. Katharina hatte mit sich
selbst genug zu tun. Sie legte ihre Kleidung bis auf Slip und T-Shirt ab und
versuchte einzuschlafen. Es misslang. Die Geräusche der Frauen, jedes für sich
mehr oder weniger leise, verbanden sich zur Klangkulisse der Gefängnisnacht. Es
gab Seufzer, Schnarcher und Schluchzer. Gestöhnt wurde auch, und ein Etagenbett
weiter hinten quietschte rhythmisch. Wie steh ich das nur durch?, dachte
Katharina Orend, warf sich auf die andere Seite und legte sich das Kissen auf
den Kopf.
23
Die deutsche Botschaft lag in einem feinen Viertel des
Bukarester Nordens. Ausgedehnte Parks mit einer Kette kleiner Seen sorgten für
eine Abkühlung, während der Rest der Hauptstadt in der baumlosen Ebene
schmorte. Mit versenkten Scheiben glitt Schreibers Opel auf einem sechsspurigen
Boulevard zwischen Bäumen dahin. Er kam langsam voran, weil offenbar alle
neureichen Bukarester ihre Pseudo-Offroader spazieren fuhren. Hannes warf einen
Blick auf den Stadtplan, um die Strada Cpt.
Av. Gheorghe Demetriade nicht zu verpassen. Er fand einen Parkplatz auf
einer Parallelfahrbahn und stand ein paar Minuten später vor der Botschaft.
Der hellgraue Stein, mit dem der ganze Schuppen verkleidet
war, glänzte wie ein Spiegel. Schreiber trat an eine der Säulen und prüfte sein
Outfit. Mit Staatsbesuchen hatte er beim Kofferpacken nicht gerechnet. Aber in
hellen Baumwollhosen, blauem Hemd und Blazer empfand er sich als korrekt genug
gekleidet für einen Sommernachmittag.
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