Das Karpaten-Projekt
Zwei abgeblühte
Rhododendronbüsche, ein paar spillerige Azaleen, davor das rautenförmige Beet
mit den rosa Eisbegonien, die seine Mutter so liebte. An seinen Vater erinnerte
ihn das nicht. Unter Anleitung lockerte er die Erde mit der Hacke, zupfte
Spurenelemente von Unkraut und holte Wasser von der Zapfstelle. Mit einer
Bürste schrubbte seine Mutter die Trittsteine blank.
»Dat würd den Papa getz freuen, wenn er dich hier sehen
könnte«, meinte Berta Schreiber. »Aber wat soll bloß aus der Gruft werden, wenn
ich mal nich mehr bin? Du bist doch immer unterwegs, Junge.«
»Bis du stirbst, bin ich lange in Rente, Mutti.«
»Ich bin ’ne Frau von ei’m Tag, Hans-Jürgen. Irgendwann
inne nächsten zehn Jahre passiert et.«
Schreiber lachte auf. »Zehn Jahre willst du noch machen.
Du weißt doch, was Papa der Oma gesagt hat, als sie achtzig wurde. ›Wenn du so
weitermachst, müssen wir dich irgendwann einschläfern lassen, Hedwig.‹«
»Ja, so war er«, sagte Berta Schreiber und verdrückte ein
Tränchen.
21
Katharinas Briefkasten quoll über. Auf sein Klingeln öffnete
sie nicht. Schreiber hatte sie zu erreichen versucht, seit er in Bukarest
gelandet war, erhielt aber nur rumänische Antworten vom Band. Er begann, sich
Sorgen zu machen, wähnte die Biologin, von Bären angefressen, im Wald bei ihren
Fallen liegen. Dann rief er sich zur Ordnung. Sie hatten keinen Termin für
seine Rückkehr vereinbart, Schreiber hatte sogar offengelassen, ob er überhaupt
noch einmal bei ihr aufschlagen würde. Denkst du, die Frau hat nichts Besseres
zu tun, als zu Hause zu sitzen und auf die Rückkehr des großen Reporters zu
warten?, fragte er sich. Eine Antwort erübrigte sich.
Schreiber fuhr von Ra c a d a u zurück in die Inne nstadt.
Dem Hotel, das sie für ihn gebucht hatten, sah man die Sparmaßnahmen des Magazin -Verlages an. Ein nach der
Revolution hochgezogener Kasten an einer Ausfallstraße der Stadt. Zum Glück gab
es einen Parkplatz. Schreiber stellte den gemieteten Opel Corsa nah beim
Eingang ab und checkte ein. Sein Zimmer lag im fünften Stock und sah aus wie
alle Hotelzimmer dieser Preisklasse in Europa. Wenn man morgens die Augen
aufschlug, wusste man nicht, ob man in Helsinki, Hannover oder Hintertupfingen
gelandet war. Er räumte den Inhalt seines Koffers in den kieferfurnierten
Schrank und verließ die traurige Stätte wieder. Es war Nachmittag, und er
sollte irgendetwas tun, um auf andere Gedanken zu kommen. Er bummelte Richtung centru, aber die Stadt war so heiß und
die Straße so öde, dass er nach wenigen Hundert Metern umkehrte. Schließlich
setzte sich Schreiber ins Auto, studierte seine Rumänienkarte und fuhr los.
Er nahm die Straße Richtung Za rnesti, um von dort nach M a gura zu fahren. Es gab ein iges mit Diana Steinkamp zu
bereden, und er glaubte, dass sie ihn, im Gegensatz zu Katharina, auch erwarten
würde. Nicht umsonst hatte sie bei der Kandidatin angerufen und die bei
Bartelmus. Gut möglich, dass die Telefonkette auch in umgekehrter Richtung
funktionierte.
Auf halber Strecke sah der Reporter ein Hinweisschild,
das ihn seine Pläne über den Haufen werfen ließ. Vulkan 5 km. Schreiber folgte ihm und hielt eine Viertelstunde
später vor dem Haus, in dem es ihm so gut gefallen hatte. Die Gasse lag ausgestorben
unter der Nachmittagssonne, die Bank, auf der Katharinas Oma gesessen hatte,
war verwaist. Er klopfte an die eiserne Hoftür, niemand antwortete. Er drückte
die Klinke, die Tür war verschlossen. Unschlüssig blickte Schreiber um sich.
Das blassgelbe Haus fiel ihm auf. Erbaut
von Johannes Guttner AD 1896, stand auf dem Giebel. Vielleicht wusste der
Guttner Miaten, wo Sara Orend steckte. Schließlich sollte er deren Enkelin
heiraten.
Der Reporter überquerte die Gasse und klopfte an Guttners
Tor. Jemand drinnen rief »Pufftitti!«, jedenfalls hörte es sich für Schreiber so an. Zögernd betrat er den Hof. Vom
Guttner Miaten, wenn er es denn war, sah er nur eine verdreckte Jeans und am
Schaft ausgefranste Gummistiefel. Der Rest des Mannes lag unter dem Traktor und
fluchte sächsisch.
»Hannes Schreiber aus Deutschland. Sind Sie Herr Guttner?«
Der Mensch unter dem Trecker brummte Zustimmung.
»Ich suche Sara Orend. Wissen Sie, wo sie steckt?«
»Ist sie nicht daheim?«
»Nein.«
»Dann versuchen Sie’s halt beim Herrn Pfarrer. Da ist die
Sara zuletzt oft gewesen.«
»Wo find ich den?«
Unter dem Traktor schnaubte es. »Bei der Kirche,
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