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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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war.

    Während seine Mutter das Frühstücksgeschirr spülte,
überdachte Schreiber seine nächsten Schritte. Nach den Enthüllungen des
Weidgenossen Hubertus konnte er die Akte Rumänien eigentlich schließen. Only a pawn in their game fiel ihm ein,
Dylans früher Song über einen armen Weißen, den sie vorgeschickt hatten, um
einen schwarzen Bürgerrechtler loszuwerden. Nur ein Bauer im Schachspiel um die
Macht im Hause Steinkamp mochte Hannes nicht sein.

    Aber da gab es auch noch einen Herrn namens Bartelmus,
dem er vor zwei Tagen zugesagt hatte, nach Rumänien zurückzufliegen. Stefan
würde das Rumpelstilzchen geben, wenn Schreiber achtundvierzig Stunden später
in Hamburg auftauchte, um ihm die Geschichte auszureden. Das Gebrüll von
Rausschmiss ohne Abfindung hatte er noch im Ohr. Besser, er flöge noch mal da
hin, und sei es nur, um die Story begründet absagen zu können. Wenn er Diana
und ihren Herrn Sellemerten mit den Aussagen des alten Steinkamp konfrontierte,
wäre ohnehin Schluss mit der Zusammenarbeit.

    Außerdem hatte es ihm dieses raue Land angetan. Für einen
Möchtegernnaturburschen wie Schreiber waren die Karpaten ein Berg- und
Wäldertraum. Selbst Gämsen sollte es am Königstein geben. Und die Leute in den
Dörfern lebten auf eine Art, die Schreiber an seine Kindheit unter Köttern und
Kumpeln im Nachkriegsruhrpott erinnerte. Der Abend bei Katharinas Oma in
Wolkendorf fiel ihm ein. Er wusste nicht, wer ihm besser gefallen hatte, Oma
oder Enkelin. Die Disi ist nur fünfzehn Jahre älter als du, rechnete er sich
vor, und Katharina mindestens zwanzig Jahre jünger. Vom Alter her kommt es
besser hin, wenn du dich an die Oma hältst, Hannes.

    »Wat is mit dir, Hans-Jürgen? Wo bisse mit deine Gedanken?«
Schreibers Mutter sah ihren Jungen besorgt an.

    »Schon gut, Mutti. Ich muss morgen schon wieder weg nach
Rumänien.«

    »Und ich hab gedacht, du hilfs mir ma, den Papa fertig
machen.«

    ›Den Papa fertig machen‹ nannte Berta Schreiber die
Pflege des Grabes ihres vor bald dreißig Jahren gestorbenen Gatten.

    »Das machen wir heute Nachmittag, Mutti.«

    Der Rest des Vormittags verging mit Reisevorbereitungen.
Er bestellte sich ein Ticket für den Flug nach Rumänien. »Alles außer Sibiu«,
sagte er, als ihn die Frau vom Reisbüro nach dem Zielflughafen fragte. Sie
buchte ihn auf Bukarest. Einen Mietwagen und ein Hotelzimmer in Brasov ließ
Schreiber sich auch reservieren. Dann versuchte er, Katharina Orend zu
erreichen. Im Festnetz ging der Ruf durch, aber es nahm niemand ab. Er
hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter und probierte es dann auf
dem Handy. Eine automatische Dame redete rumänisch. Er hörte keinen Mailboxton.

    Seine Mutter hatte natürlich keinen Computer. Also fuhr
Schreiber mit dem Bus in die Stadt. Bochum war auch nicht schöner geworden in
den letzten Jahren. Selbst im Zentrum machten sich Eineuroläden breit. Am
Bahnhof fand er ein Internetcafé und schickte eine Mail nach Brasov.

    Hallo Katharina,
morgen bin ich wieder in Rumänien. Ich melde mich dann telefonisch bei Ihnen.
Gruß Hannes Schreiber.

    Wie immer, wenn er in Bochum war, ging er anschließend
zum Bratwursthäuschen ins Bermudadreieck, dem Kneipenviertel seiner
Heimatstadt. Die Currywurst von Dönninghaus galt im Ruhrpott als Kult. Schreiber ließ sich gleich zwei Würste schreddern
und mit der scharfen Sauce übergießen. Dazu gab es ein Brötchen. Pommes führte Dönninghaus nicht. Hannes spießte die
Wurstbrocken mit einem Plastikgäbelchen, mümmelte das Brötchen gegen die
Schärfe und konnte es sich nicht verkneifen, die Soßenreste aus der Pappschale
zu schlecken.

    Die Kneipe gegenüber hieß schlicht Pinte. Männer seines Alters hingen dort ab. Er kannte die meisten
Gesichter in dem Laden, aber die Namen der Leute fielen ihm nicht mehr ein.
Schreiber trank ein schnelles Bier gegen den Durst und nahm den 45er zurück
nach Hause.

    Seine Mutter hatte ihr Mittagsschläfchen beendet. Sie
holte das Einkaufswägelchen mit den Friedhofsutensilien aus dem Keller und
gemeinsam zogen die beiden los. Schreiber musste sich an das Tempo einer
Siebenundachtzigjährigen erst gewöhnen, sie brauchten eine halbe Stunde für den
Kilometer.

    Er war lange nicht mehr am Grab seines Vaters gewesen.
Ohne seine Mutter hätte er es kaum gefunden. Obwohl er oft an seinen Alten
dachte, besonders, wenn er einen seiner Sprüche benutzte, wollte ihm die
Stelle, an der er begraben lag, so gar nichts sagen.

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