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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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Jedenfalls bezeichnete das Blatt mit den
ganz großen Überschriften sie gern so. Wie dünn die Firnis der Zivilisation
beim Homo sapiens war, überraschte ihn immer wieder.

    Mit Sara Orend mochte er das nicht diskutieren. Aber er
rief es sich in Erinnerung, um ein böses Erwachen zu vermeiden. Im Grunde
kannte er Katharina nur flüchtig. Sie war eine sympathische, junge Frau. Tough
genug, um einer attackierenden Bärin mit nichts als einer Dose Pfefferspray entgegenzutreten.
Auch tough genug, einen verhassten Menschen zu erschießen? Er glaubte es nicht.
Fürs Glauben ist der Pfarrer zuständig, sagte sich Schreiber und trank seinen
Tee aus.

    »Es ist der alte Hass.« Die Disi legte ihr Brot beiseite.
Sie mochte nicht mehr essen. Hannes sah ihr an, dass sie reden musste. »So?«,
sagte er.

    Frau Orend schniefte. »Ja. Seit dem Krieg denken die
Walachen, sie sollten Herr über uns Sachsen sein. Sie haben unsere Höfe
weggenommen im 45er mitsamt dem Vieh. Tagelöhner waren wir auf unserem eigenen
Grund. Weil die Deutschen den Krieg verloren hatten. Dabei war der Rumäne doch
mit uns verbündet. Mit den Unseren haben sie bei Stalingrad gegen den Russen
gekämpft. Und verloren. Erst als der Feind vor der Grenze stand, sind sie zu
den Russen übergelaufen, die ganze Armee. Da waren sie bei den Siegern, wie
kein Krieg mehr war. Schlau ist er, der Walache, viel schlauer als der dumme
Sachse.«

    »Aber Sie haben Ihren Hof doch zurückbekommen, Frau
Orend.«

    Die alte Sächsin lachte bitter. »Ja, im 54er.
Heruntergewirtschaftet hatten sie ihn, und unser Grund gehörte da schon dem
Kollektiv.«

    Schreiber wusste, dass die meisten Sachsen mehr oder
weniger freiwillig in der Waffen-SS gedient hatten, aber er wollte das an
diesem Abend mit der alten Frau nicht diskutieren. Katharinas Verhaftung hatte
ihre Bitterkeit wieder geweckt. Gegen Gefühle war schlecht argumentieren. Er
ließ Sara reden.

    »Im 59er hat der Nachtwächter von Wolkendorf einen
Sachsen zu Tode geprügelt. Die Polizei saß im evangelischen Gemeindesaal. Sie
wollten, dass es einer von den Unsrigen war, der den Meier Walter erschlagen
hatte. Nicht dieser elende Walache. Alle sächsischen Männer wurden verhört. Wir
Frauen haben den Knüppel von dem Nachtwächter gesucht. Er lag in der Nähe, wo
der Walter erschlagen war. Das Blut klebte noch daran. Den haben wir der polit ia gezeigt. Da konnten sie nicht
anders. Sie mussten den Walachen verhaften.«

    Hannes dämmerte, dass es ihm ähnlich ergehen könnte. Er
musste den Mörder des Forstamtsleiters finden, wenn er Katharina freibekommen
wollte.

     

22

    » Buna sear a ! Zelle vier angetreten. Zweiundsiebzig Gefangene. Keine besonderen
Vorkommnisse.« Die Zellenälteste stand stramm vor dem Etagenbett beim Eingang
und schnarrte die Abendmeldung. Die Wärterin mit der lächerlichen Uniformmelone
auf dem Kopf würdigte sie keines Blickes. Sie sah keine Gefangene an, auch
Katharina nicht, an der die dralle Frau im Dienstblouson nahe vorbeimusste.
Katharina stand wie alle anderen Frauen vor ihrem Dreistöcker und starrte
geradeaus.

    Die Aufseherin marschierte zum vergitterten Zellenfenster.
Sie zückte eine Art Degen mit goldener Parierstange zwischen Griff und Klinge.
Auf der Spitze der Waffe steckte eine Holzkugel, etwas größer als ein
Tennisball. Damit schlug die Dicke gegen das Fenster. Das Glas hielt stand. Das
Ritual diente anscheinend dazu, die Sinnlosigkeit von Ausbruchversuchen zu
demonstrieren. Nach ihrem Auftritt marschierte der uniformierte Kugelblitz
grußlos wieder hinaus. Die Eisentür der Zelle fiel kreischend ins Schloss. Der
erste Tag im neuen Leben der Katharina Orend aus Brasov war zu Ende. Jedenfalls
sein amtlicher Teil.

    Als Neuankömmling hatte sie ein Bett in der obersten
Etage eines dreistöckigen Etagenbettes zugewiesen bekommen, mit einem halben
Meter Luft zwischen Matratze und Zellendecke. Katharina zog die Schuhe aus,
kletterte auf ihre Pritsche, steckte die Beine aus und starrte an die Decke.
Irgendwo rechts in der Ecke grölte ein Fernseher Werbespots. Einer für Ursus -Bier war auch darunter.

    Katharina schnaufte aus. Hier sollte sie es aushalten,
mit siebzig Frauen auf zweihundert Quadratmetern eingesperrt, von der Außenwelt
abgeschnitten. Der Gedanke ließ sie frieren, trotz der Hitze, die sich unter
der Zellendecke staute. Man konnte den Mief der Meute mit Händen greifen.
Katharina hielt es im Sommer kaum in ihrer Wohnung aus. Wenn sie ein paar
Stunden am

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