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Das Karpaten-Projekt

Das Karpaten-Projekt

Titel: Das Karpaten-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Schmitz
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dem Deutschen in die
Wälder gezogen. Sie haben Hütten dort, in denen man übernachten kann. Keine
Elektrizität, kein Telefon, Wasser aus der Quelle. Sehr schön. Zwei Wochen Zeit
hatte der Deutsche und so lange blieben die beiden auch weg.«

    Die Kellnerin kam und räumte die Suppenteller ab. »Das
Lamm sei fertig, sagt sie. Sollen wir eine Pause machen oder gleich weiteressen?«

    »Eine kleine Pause wäre nicht schlecht«, sagte Schreiber.

    Ovidiu gab der Bedienung Bescheid und machte dann weiter
mit seiner Geschichte. »Während die beiden in den Bergen Hirsche jagten, reifte
unten im Tal das Obst. Es gab da eine Plantage, in der sich jeden Herbst die
Bären der Umgebung zum großen Obstsalatfressen einfanden. Es waren auch große
Bären darunter. Und die brachten Hulanu auf die Idee, den conduca tor persönlich zur Bärenjagd
nach Sercaia einzuladen. Die Forstamtsleiter Rumäniens konkurrierten damals um
seine Gunst. Wer Ceausescu auf einen kapitalen Bären zu Schuss brachte,
kletterte die Karriereleiter hinauf. Als Hulanus Leute den ersten Haufen
Bärenscheiße unter den Obstbäumen fanden und daneben den Abdruck einer riesigen
Tatze, rief er in Bukarest an. Zwei Tage später schwebte der conduca tor mit dem Hubschrauber ein. Hulanu
organisierte eine Trei bjagd in den Tageseinständen der Bären.
Zweihundert Leute liefen die Hänge rauf und runter, schlugen gegen die Bäume,
klatschten in die Hände. Wer eine Flinte hatte, feuerte sie ab. Aber sie
scheuchten keinen Bären auf. Nicht einen. Wie es manchmal so ist auf der Jagd.«

    Schreiber wusste, wovon die Rede war. Auch er hatte schon
an Jagden teilgenommen, an denen nicht ein Stück Wild auf der Strecke lag. An
solchen Tagen dachte er gern an den Satz des Fußballphilosophen Jürgen Wegmann:
»Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.« Er konnte sich
allerdings denken, dass es Ceausescu an der Gelassenheit des Revierfußballers
mangelte. Ovidius Geschichte gab ihm recht.

    »Ceausescu war außer sich«, erzählte er. »Er schrie
Hulanu an wie einen dummen Bauern. Aber unser Freund Ion war um eine Ausrede
nicht verlegen. Er schob die Schuld auf seinen Jagdverantwortlichen, diesen
Sachsen, der lieber mit einem westdeutschen Kapitalisten Hirsche jagte, als den
Genossen Ceausescu auf einen Bären zu Schuss zu bringen. ›Degradieren Sie den
Mann‹, brüllte der conducator, ›und
nehmen Sie ihm die Waffe ab!‹ Genau das tat Hulanu dann auch.«

    »What a rat!«

    Vandra wiegte sein weises Haupt. »Ratten sind kluge
Tiere. Wahrscheinlich die einzigen, die es mit Homo sapiens an Opportunismus
aufnehmen können. Vielleicht hassen wir sie deshalb so sehr. Nicht nur, weil
sie unsere Vorräte auffressen. Wenn du mich fragst, werden sie uns als Spezies
überleben, Hannes. Also: nichts gegen Ratten!«

    Sie waren immer noch die einzigen Gäste auf der Terrasse.
Schreiber fragte sich, wie dieser Laden überleben wollte, als die Kellnerin das
Lamm brachte. Das Tier erschien ihm recht willkürlich zerstückelt. Die Teile
schwammen in einer rotbraunen, fettigen Tunke. Dazu gab es Palukes, den Ovidiu ma m a lig a nannte und über die Maßen zu
schätzen sc hien. Jedenfalls häufte er einen Maisbreiberg auf seinen Teller.
Ganz so verschieden waren Rumänen und Sachsen wohl doch nicht.

    »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte er mit
vollem Mund. »Aber jetzt erfreuen wir uns erst mal an unserm Fleisch.«

    Von zu Hause daran gewöhnt, nur die besten Stücke vom
Lamm zu essen, hatte Hannes Mühe mit diesem Allerlei vom nicht mehr ganz so
jungen Schaf. Bei Bauern im Burgenland hatte er vor langer Zeit einmal
Schafshoden gegessen. Daran gemessen schmeckte das rumänische Ragout noch
passabel.

    Ovidiu nagte die Knochen ab und nahm einen Schluck Bier.
Mit der Serviette fuhr er sich durch den Bart. »Hat es dir geschmeckt, Hannes?«

    Schreiber nickte spärlich. »Was ist aus diesem
sächsischen Förster geworden?«, wollte er wissen.

    »Er ging nach Deutschland. In den frühen Achtzigern.«

    »Konnte man das denn damals so ohne Weiteres?«

    »Nein. Man musste einen Antrag stellen. Und man brauchte
Devisen, um die richtigen Leute zu bestechen.«

    Hannes steckte sich eine Zigarette an. Während der Zeit,
in der Ovidius Geschichte spielte, hatte er die sozialistischen Länder als
Alternative zum Kapitalismus gesehen und in Diskussionen verteidigt. Natürlich
war er damals jung gewesen, aber die Ausrede ließ er nicht gelten. Don’t go

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