Das Karpaten-Projekt
zusammengeschossen. Nicht aus der
Seilbahn, wie drüben am Bucegi. Hier habe sich der größte Weidmann der Karpaten
die Tiere zutreiben lassen. »Im Oktober 1989 waren dreihundert Förster und
zweihundert Polizisten und securitate -Leute
auf den Beinen, alle nur für einen Schützen: Nicolae Ceausescu. Er saß drüben
im Südhang und schoss aus allen Rohren. Wenn ein Magazin leer war, reichte ihm
sein securitate -Offizier eine neue
Waffe mit einem vollen. Am Ende des Gemetzels lagen sechsundvierzig Gämsen auf
der Strecke. In den nächsten Tagen wurden noch fünfzig verwundet oder tot gefunden.«
Vandra schmachtete Schreibers Zigarettenschachtel an. »Gibst
du mir bitte eine? Wenn ich mich aufrege, kommt die alte Sucht wieder.«
Hannes hielt ihm die Schachtel hin und gab ihm Feuer.
Ovidiu paffte wie ein Schuljunge.
»Warst du damals dabei?«
Der Biologe nickte. »Als Treiber. Das ganze Institut
wurde abkommandiert. Am Streckenplatz habe ich gehört, wie seine Frau Elena
sagte: ›Genossen, diese Jagd wird in die Geschichte eingehen.‹ Zwei Monate
später wurde sie an seiner Seite erschossen.«
Vandra nahm noch einen tiefen Zug und drückte die
Zigarette aus. »In den Wirren nach der Revolution kamen die Wilderer. Sie jagen
wegen des Fleisches. Trophäen interessieren sie nicht.«
Ovidiu bestellte Bier und Lammbraten für zwei. Und eine
Suppe vorweg. Während sie auf das Essen warteten, berichtete Schreiber von
seiner Stippvisite in Berlin und was er mit Karsten Groß ausgemacht hatte.
»Good job, Hannes«, sagte der Biologe.
»Wenn es funktioniert, ja.«
Die Kellnerin brachte das Bier. Schreiber stieß gegen die
leere Fantaflasche. Sie fiel vom Tisch und zerbrach. Er sprang auf, um die
Scherben einzusammeln. Die Bedienung schob ihn beiseite. »Fuck you!«, knurrte
sie, und als Schreiber wieder nach den Scherben griff, noch einmal schärfer: »Fuck
you!«
Hannes sah Vandra entgeistert an. »Ist es bei euch
üblich, Gäste mit ›Fuck you‹ zu beschimpfen?«
Ovidiu begann zu lachen. »Du hast sie falsch verstanden,
Hannes. Sie hat fac eu gesagt. Das
ist Rumänisch und heißt: Ich mach’s.«
Die Kellnerin hatte den Glasbruch inzwischen in ihrer
Schürze versammelt und ging. Ovidiu kicherte noch immer in seinen Bart.
Schreiber grinste gequält und wechselte das Thema. »Was hast du denn über
Hulanu herausgefunden?«
Der Biologe beruhigte sich wieder. »Es ist eine
Geschichte aus den Siebzigerjahren.« Er nahm einen Schluck Bier.
»Lange her«, sagte Hannes, nur um irgendwas zu sagen.
»Damals war Ceausescu noch nicht ganz so verrückt wie zum
Schluss. Er war der favourite communist der
Amerikaner, weil er Abstand zu den Russen hielt. Damals durften auch Ausländer
in Rumänien jagen. Ceausescu brauchte deren Geld für die Industrialisierung.
Die Devisenjäger wurden nur ausgesuchten Forstämtern zugeteilt. Eins davon war Sercaia,
das damals einen sehr jungen Chef hatte. Ion Hulanu. Er hatte eine Karriere aus
dem kommunistischen Bilderbuch hinter sich. Arbeiterkind aus Za rnesti, Junger P ionier,
Gruppenleiter im Studentenverband, Mitglied der KP. Mit Ende zwanzig wurde
Hulanu Forstamtsleiter in Sercaia, einer der jüngsten im ganzen Land. Vom Wald
und von der Jagd hatte er keine Ahnung. Die Arbeit mussten andere machen,
während er auf Meetings Lobreden auf die Partei und ihren weisen Führer hielt.
Für die Jagd war in Sercaia ein Sachse verantwortlich. Ich weiß nur, dass sie
ihn Mihai nannten. Seinen richtigen Namen hat mein Gewährsmann vergessen. Es
sei einer von diesen komischen deutschen Namen gewesen, die sich kein Rumäne
merken kann.«
Schreiber bot noch eine Zigarette an. Der Biologe
schüttelte den Kopf.
»Wer ist denn dein Gewährsmann, Ovidiu?«
»Ein alter Wildhüter, der damals dort die Bären gefüttert
hat. Ich kenne ihn lange. He is okay.«
Die Kellnerin kam mit der Suppenschüssel. Sie füllte ihre
Teller und verschwand. Die Suppe roch säuerlich und fremd.
»Das ist
eine Ciorba «, sagte Vandra. »It’s made from the stomach of a cow.«
Tapfer nahm Hannes einen Löffel Pansensuppe. Sie
schmeckte ihm gut. Schweigend schlubberten die beiden ihre Teller leer. Ovidiu
schien genauso hungrig zu sein wie er. Erst als er auch noch den Löffel
abgeleckt hatte, redete er weiter.
»In einem September in den Siebzigern ist ein deutscher
Jäger zur Brunft nach Sercaia gekommen. Er wollte einen Karpatenhirsch
schießen, koste es, was es wolle. Dieser Mihai ist mit
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