Das Karpatenschloß
Mes-
ser auf, das Franzens Hand entfallen ist und dringt damit
auf die nicht zurückweichende Gestalt ein.
Franz stürzt sich auf ihn, um den tödlichen Stoß, der der
unglücklichen Wahnsinnigen droht, abzulenken.
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Es ist zu spät, das Messer zuckt nach ihrem Herzen.
Da hört man das Zerbersten einer großen Scheibe,
und mit dem Niederfallen von tausend Glasscherben ver-
schwindet La Stilla.
Franz steht an den Boden gewurzelt, er begreift nicht,
was hier vorgeht. Ist auch er jetzt des Verstands beraubt?
Da ruft Rudolph von Gortz höhnend: »La Stilla ent-
geht Franz von Telek noch einmal! Ihre Stimme aber, ihre
Stimme bleibt mir zurück! Ihre Stimme gehört mir, mir al-
lein. Sie wird niemals einem anderen gehören!«
In dem Augenblick, wo Franz sich auf den Baron von
Gortz stürzen will, verlassen ihn die Kräfte und er bricht
bewußtlos am Fuß der Estrade zuammen.
Rudolph von Gortz kümmert sich nicht um den jun-
gen Grafen. Er erfaßt das auf dem Tisch stehende Kästchen,
stürmt aus dem Saal und eilt die Treppe ins erste Turmstock-
werk hinunter; auf der Terrasse angelangt, läuft er schnell
um sie herum und bis zur anderen Tür, als ihn plötzlich ein
scharfer Knall erschreckt.
Am Rand des Wallgrabens stehend, hat Rotzko auf den
Baron von Gortz Feuer gegeben.
Der Baron selbst wurde nicht verletzt; Rotzkos Kugel
zertrümmerte aber das Kästchen, das jener in den Armen
trug.
Er stieß einen markerschütternden Schrei aus.
»Ihre Stimme! Ihre Stimme!« jammerte er. »Ihre Seele –
die Seele La Stillas – sie ist vernichtet, zerstört, zerschmet-
tert!«
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Mit emporgesträubtem Haar und krampfhaft geballten
Händen sah man ihn längs der Terrasse hinstürmen, im-
mer mit dem Schmerzensruf: »Ihre Stimme! Ihre Stimme!
Sie haben mir ihre Stimme geraubt! Fluch und Verdamm-
nis über sie!«
Dann verschwand er durch die Tür, als Rotzko und Nic
eben die Burgmauer, ohne die Polizeisoldaten abzuwarten,
erklettern wollten.
Plötzlich erzitterte der ganze Bergstock des Plesa von ei-
ner furchtbaren Explosion. Flammengarben schossen bis zu
den Wolken empor, und eine Steinlawine donnerte auf die
Straße über den Vulcan hernieder.
Von den Bastionen, der Verbindungsmauer, dem Wart-
turm und der Kapelle des Karpatenschlosses war nichts
mehr übrig als ein Haufen rauchender Trümmer auf der
Hochfläche des Orgall.
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Nach dem Inhalt des Gesprächs zwischen dem Baron und
Orfanik sollte die Explosion das Schloß erst zerstören, nach-
dem Rudolph von Gortz daraus geflohen war. Zu der Zeit
aber, wo sie erfolgte, schien es ganz unmöglich, daß er Zeit
genug gehabt hätte, den nach dem Vulcanrücken führenden
Tunnel zu erreichen. Hingerissen von seinem Schmerz und
im Wahnsinn der Verzweiflung nicht mehr wissend, was er
tat, hatte Rudolph von Gortz eine sofortige Katastrophe her-
beigeführt, zu deren ersten Opfern er höchstwahrscheinlich
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zählte. Nach den unverständlichen Worten, die ihm entfuh-
ren, als Rotzko den Kasten in seinen Armen zerschmettert
hatte, mochte er sich wohl freiwillig unter den Ruinen der
Burg begraben haben.
Jedenfalls war es ein Glück zu nennen, daß die durch
den Gewehrschuß Rotzkos überraschten Polizeisoldaten
sich noch in gewisser Entfernung befanden, als die Explo-
sion die ganze Bergmasse erschütterte. Nur wenige wurden
von den Trümmern verletzt, die bis zum Rand des Plateaus
des Orgall niederfielen. Rotzko und der Förster befanden
sich dabei allein nah bei der Verbindungsmauer, und es war
ein Wunder zu nennen, daß sie nicht unter diesem Steinre-
gen zermalmt wurden.
Die Explosion hatte also schon die Zerstörung vollbracht,
als es Rotzko, Nic Deck und den Polizisten jetzt ohne große
Mühe gelang, die Umwallung von dem durch die geborste-
nen Mauern halb ausgefüllten Graben aus zu ersteigen.
50 Schritte hinter der Verbindungsmauer wurde inmit-
ten der Trümmer am Fuß des Wartturms zuerst ein toter
Körper gefunden.
Es war der Rudolphs von Gortz. Einige ältere Bewohner
der Nachbarschaft, darunter Meister Koltz, erkannten ihn
sofort wieder.
Rotzko und Nic Deck bemühten sich allerdings in erster
Linie, den jungen Grafen zu entdecken. Da Franz nach der
mit seinem Diener verabredeten Frist nicht erschienen war,
hatte er wahrscheinlich nicht wieder aus dem Schloß ent-
kommen können.
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Rotzko wagte jedoch nicht zu hoffen, daß er
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