Das Karpatenschloß
dritten Absatz erreicht, fand sein Fuß keine
Stufe mehr. Hier endete die Treppe vor dem obersten Raum
oder Saal des Wartturms, über dem sich die zinnenge-
krönte, früher mit der Hausflagge der Barone von Gortz
geschmückte Plattform ausdehnte.
Die Wand zur Linken des Absatzes war von einer jetzt
geschlossenen Tür durchbrochen.
Durch das Schlüsselloch, in dem der Schlüssel von au-
ßen steckte, schimmerte ein heller Lichtstrahl.
Franz horchte, konnte aber aus dem Innern des dahin-
terliegenden Gemachs keinen Laut wahrnehmen.
Als er durch das Schlüsselloch lugte, vermochte er nur
die linke Seite eines sehr hell erleuchteten Raums zu über-
sehen, dessen rechte Seite mehr im Dunkel lag.
Nachdem er den Schlüssel geräuschlos umgedreht,
drückte Franz auf den Griff der Tür, die sich nun vor ihm
auftat.
Ein geräumiger Saal nahm dieses ganze obere Stockwerk
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des Wartturms ein. Auf seine kreisförmigen Mauern stützte
sich ein Kastengewölbe, dessen Rippen, in der Mitte zusam-
menlaufend, einen herabhängenden schweren Schlußstein
bildeten. Einige altväterliche Möbel, Sessel, Schanktische,
Lehnstühle, niedrige Schemel und dergleichen verrieten in
ihrer Anordnung einen feinen Geschmack. An den Fens-
tern hingen schwere Gardinen, die kein Licht von innen
durchdringen ließen, und auf dem glatten Fußboden lag ein
langhaariger Wollteppich ausgebreitet, der den Schall der
Schritte dämpfte.
Die Ausstattung dieses Saals erschien wenigstens bizarr,
und als Franz eintrat, wurde er überrascht durch den Ge-
gensatz des Eindrucks, den jener in heller Beleuchtung und
in der Dunkelheit hervorbrachte.
Rechts von der Tür verschwand der Hintergrund des gro-
ßen Raums in vollständiger Finsternis. Links davon lag ein
mit schwarzem Stoff bedeckter, erhöhter Auftritt, den ein
glänzendes Licht überflutete. Letzteres entstrahlte einem
vor der Estrade aufgestellten, aber nicht sichtbaren Apparat
mit mächtigen Reflektoren oder Brennspiegeln.
Etwa 10 Fuß vor dem Auftritt und von diesem durch
eine Art Schirm in Stützhöhe der Arme getrennt, stand ein
altmodischer Armstuhl mit sehr hoher Rückenlehne, der
durch jenen Schirm in angenehmem Halbdunkel gehalten
wurde.
Neben dem Armstuhl trug ein bis tief herab bedeckter
Tisch einen viereckigen Kasten.
Dieser 10 bis 12 Zoll lange und etwa 5 bis 6 Zoll breite
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Kasten, dessen mit Steinschmuck eingelegter Deckel offen
stand, enthielt einen Metallzylinder.
Gleich beim Betreten des Saals bemerkte Franz, daß der
Lehnstuhl besetzt war.
Dieser wurde in der Tat von einem sich regungslos ver-
haltenden Mann eingenommen, der den Kopf gegen die
Lehne des Armstuhls zurückgelegt und die Augen geschlos-
sen hatte, während er den rechten Arm ausgestreckt hielt
und seine Hand dem vorderen Teil des reich verzierten Kas-
tens auflag.
Es war Rudolph von Gortz.
Man hätte vermuten können, daß der Baron diese letzte
Nacht im obersten Stockwerk des Wartturms verträumen
wollte, ehe er von dem der Zerstörung geweihten Sitze sei-
ner Ahnen für immer schied.
Doch nein! Das konnte nach den von Franz belausch-
ten Äußerungen, die jener gegen Orfanik getan hatte, wohl
nicht der Fall sein.
Der Baron von Gortz befand sich allein in dem geräu-
migen Zimmer, und sein Gefährte mochte, gemäß den er-
haltenen Anweisungen, jetzt schon durch den Tunnel ent-
wichen sein.
Und La Stilla? Rudolph von Gortz hatte ja bestimmt ge-
sagt, daß er sie in seinem Karpatenschloß, ehe dieses der
vorbereiteten Explosion zum Opfer fiel, noch einmal hören
wolle. Nur aus diesem Grund hatte er sich jedenfalls hier-
her begeben, wohin auch sie jeden Abend kommen mochte,
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um den grausamen Sonderling durch ihren Gesang zu be-
rauschen.
Doch wo war La Stilla?
Franz sah sie nicht und hörte sie nicht.
Das kümmerte ihn jedoch im Augenblick, wo Rudolf von
Gortz dem jungen Grafen auf Gnade oder Ungnade verfal-
len war, nicht weiter. Franz würde ihn schon zum Sprechen
zu zwingen wissen. In seiner hochgradigen Aufregung trieb
es Franz, sich auf den Mann zu werfen, den er ebenso bitter
haßte wie er von ihm wieder gehaßt wurde, auf ihn, der ihm
seine Stilla – die noch lebende, aber geistesgestörte, durch
jenen zum Wahnsinn getriebene Stilla geraubt hatte, um ihn
niederzustechen.
Franz schlich sich hinter den Lehnstuhl; er brauchte nur
noch einen Schritt zu tun, um den Baron zu packen, und
mit
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