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Das Karpatenschloß

Das Karpatenschloß

Titel: Das Karpatenschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Stilla nicht nur, als ob er in seiner
    gewohnten Loge säße, sondern – und das erscheint fast ganz
    unbegreiflich – er sah sie auch so, wie er sie lebend vor Au-
    gen gehabt hatte.
    Das lief nur auf ein optisches Kunststück hinaus.
    Der Baron von Gortz hatte, wie uns bekannt, ein vor-
    zügliches Gemälde der Sängerin erworben. Dieses Porträt
    stellte sie im weißen Gewand der Angelica aus ›Orlando‹
    und mit lang aufgelöstem Haar dar. Durch große Spiegel-
    scheiben, die in einem von Orfanik berechneten Winkel
    festgehalten wurden, erschien La Stilla, sobald eine starke
    Lichtquelle das vor einem Spiegel aufgestellte Bild erhellte,
    durch Rückstrahlung so »leibhaftig«, wie im vollen Leben
    und ganzen Glanz ihrer Schönheit. Mit Hilfe dieses Appa-
    rats, der in jener Nacht nach der Bastion geschafft worden
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    war, wo Rudolph von Gortz die Erscheinung der Künstle-
    rin hervorgerufen hatte, versuchte der Burgherr, wir wis-
    sen, mit welchem Erfolg, Franz von Telek zu sich heranzu-
    locken; dank dieses Apparats hatte der junge Graf La Stilla
    im Saal des Wartturms wiedergesehen, während ihr fanati-
    scher Bewunderer ihrer Stimme und ihren Liedern voller
    Entzücken lauschte.
    Das sind kurz gefaßt die Aufklärungen, die Orfanik im
    Lauf der Untersuchung weit eingehender gab. Wir müssen
    jedoch hinzufügen, daß er sich mit großem Stolz als Urhe-
    ber dieser genialen Erfindungen brüstete, die er allein so
    ungeheuer weit vervollkommnet habe.
    Gab nun Orfanik hiermit die materielle Erklärung der
    verschienenen Erscheinungen oder vielmehr jener »Tricks«,
    um das dafür eingeführte Wort zu gebrauchen, so erklärte
    sich daraus noch nicht, warum der Baron von Gortz vor der
    Explosion keine Zeit gefunden hatte, sich durch den Tunnel
    nach dem Vulcanrücken in Sicherheit zu bringen. Als Or-
    fanik dann aber erfuhr, daß eine Gewehrkugel den Gegen-
    stand, den Rudolph von Gortz damals in den Armen trug,
    zerschmettert hatte, da durchschaute er sofort den Zusam-
    menhang. Jener Gegenstand war der phonographische Ap-
    parat gewesen, der den letzten Gesang La Stillas enthielt,
    die Töne, die Rudolph von Gortz im Saal des Wartturms vor
    dessen Zerstörung hatte hören wollen. Die Vernichtung die-
    ses Apparats hatte auch das Leben des Barons von Gortz
    wertlos gemacht, und er hatte sich, eine Beute der Verzweif-
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    lung, gewiß absichtlich unter den Trümmern des Schlosses
    begraben lassen.
    Der Baron Rudolph von Gortz wurde auf dem Friedhof
    in Werst mit all den Ehren beerdigt, die der alten, mit ihm
    ausgestorbenen Familie zustanden. Den jungen Grafen von
    Telek hatte Rotzko auf das Schloß bei Krajowa schaffen las-
    sen, wo sich der treue Diener ausschließlich der Pflege sei-
    nes Herrn widmete. Orfanik hatte ihm willig die Phonogra-
    phenplatten abgetreten, die die anderen Gesänge La Stillas
    enthielten, und wenn Franz die Stimme der großen Künst-
    lerin hörte, dann erwachte er zu einiger Aufmerksamkeit,
    gewann er vorübergehend die geistige Klarheit wieder, und
    es schien, als ob seine Seele im Andenken an die unvergeß-
    liche Vergangenheit neu auflebte.
    Nach Verlauf einiger Monate war der junge Graf wieder
    genesen, und dann erst erfuhr man von ihm die Einzelhei-
    ten aus der letzten Nacht im Karpatenschloß.
    Die Hochzeit der reizenden Miriota und Nic Decks
    wurde nach den dafür vorgesehenen 8 Tagen nach der Ka-
    tastrophe gefeiert. Nachdem die Brautleute den Segen des
    Popen im Nachbardorf Vulcan erhalten hatten, kehrten sie
    nach Werst zurück, wo ihnen Meister Koltz das hübscheste
    Zimmer seines Hauses einräumte.
    Wenn jene Erscheinungen nun auch eine ganz natürli-
    che Erklärung gefunden hatten, darf man doch nicht glau-
    ben, daß die junge Frau an übernatürliche Vorkommnisse in
    der Burg nicht mehr geglaubt hätte. Nic Deck konnte predi-
    gen, soviel er wollte – und Jonas auch, denn ihm lag daran,
    — 287 —
    die alte Kundschaft des ›König Mathias‹ wieder heranzuzie-
    hen – sie ließ sich nicht eines besseren belehren, so wenig
    übrigens wie Meister Koltz, der Schäfer Frik, der Magister
    Hermod und die anderen Bewohner von Werst. Es werden
    wohl noch viele Jahre vergehen, ehe die wackeren Leute hier
    sich von ihrem eingewurzelten Aberglauben befreien.
    Doktor Patak freilich, der jetzt wieder das große Wort
    hat, sagt einem jeden, der es hören will: »Na, hatte ich nicht
    recht? Geister im Schloß! Gibt’s denn überhaupt Geister?«
    Aber kein

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