Das Karpathenschloß
Familie von Gortz gehört?
– Ja, Herr Graf, und dieser gehört es noch heute, obwohl der letzte Sproß der Familie, der Baron Rudolph von Gortz, verschwunden ist, ohne daß man Nachricht von ihm erhalten hat.
– Und wie lange ist es wohl her, daß er verschwand?
– So gegen zwanzig Jahre.
– Schon zwanzig Jahre?…
– Gewiß, Herr Graf. Eines schönen Tages hat der Baron Rudolph das Schloß verlassen, dessen letzter Diener wenige Monate nachher starb, und seitdem hat man den Besitzer nicht wieder gesehen.
– Und seitdem hat auch Niemand die Burg betreten?
– Kein Mensch.
– Und was hält man hier zu Lande von der ganzen Sache?
– Man glaubt, daß der Baron Rudolph im Auslande, und zwar auch kurz nach seinem Verschwinden, gestorben sein möge.
– Darin täuscht man sich, Nic Deck. – Der Baron war noch am Leben, wenigstens vor fünf Jahren.
– Er lebte noch, Herr Graf?
– Ja…. In Italien… in Neapel.
– Sie haben ihn gesehen?
– Ja freilich.
– Und seit diesen fünf Jahren?
– Hab’ ich nichts mehr von ihm gehört.«
Der junge Forstwächter wurde nachdenklich. Es kam ihm ein Gedanke – ein Gedanke, dem er doch nicht festere Gestalt zu geben wagte. Endlich erhob er entschlossen den Kopf und sagte:
»Es ist doch nicht anzunehmen, Herr Graf, daß der Baron Rudolph ins Land zurückgekehrt sei, um sich im Innern der Burg zu verbergen?
– Nein… das erscheint nicht annehmbar, Nic Deck.
– Welchen Grund könnte er auch haben, sich zu verstecken und Niemand bei sich sehen zu wollen?…
– O, gar keinen,« antwortete Franz von Telek.
Und doch nahm auch jetzt ein unerwarteter Gedanke im Geiste des jungen Grafen festere Gestalt an.
War es denn unmöglich, daß dieser Sonderling, dessen Leben schon immerdar ein so räthselhaftes gewesen war, nach seinem Fortgange aus Neapel sich in die Burg zurückgezogen hätte? Hier mußte es ihm, Dank des geschickt unterhaltenen einmal herrschenden Aberglaubens der Leute in der Umgebung leicht sein, sich, wenn er ganz einsam leben wollte, gegen jede unbequeme Heimsuchung zu vertheidigen, da ihm doch der geistige Zustand seiner Nachbarschaft unzweifelhaft bekannt war.
Franz hielt es für nutzlos, die Bewohner von Werst auf diese Spur zu führen. Er hätte sich da über Vorkommnisse verbreiten müssen, die allzu persönlicher Natur waren. Uebrigens hätte er doch Niemand überzeugt, das erkannte er sofort, als Nic Deck hinzufügte:
»Wenn sich der Baron Rudolph im Schlosse befindet, muß man glauben, daß der Baron Rudolph selbst der Chort ist, denn nur der Chort hätte mich in dieser Weise treffen können!«
Da er auf dieses Gebiet nicht wieder kommen wollte, wechselte Franz den Lauf des Gespräches. Nachdem er alle Mittel erschöpft, um den Forstwächter über die Folgen seines Versuches zu beruhigen, empfahl er ihm doch, einen solchen nicht zu wiederholen. Das wäre nicht seine Sache, sondern die der Behörden, und die Polizeimacht von Karlsburg würde das Geheimniß schon zu enthüllen verstehen.
Dann verabschiedete sich der Graf von Nic Deck, dem er ganz besonders ans Herz legte, Alles für seine Wiedergenesung zu thun, um die Hochzeit mit der hübschen Miriota, die er ja mit zu feiern gedachte, nicht etwa zu verzögern.
In Gedanken versunken, kehrte Franz nach dem »König Mathias« zurück, den er an diesem Tage nicht wieder verließ.
Um sechs Uhr brachte ihm Jonas in der Gaststube das Abendessen, und einer lobenswerthen Zurückhaltung nachgebend, störte ihn hier weder Meister Koltz, noch sonst Jemand aus dem Dorfe.
Gegen acht Uhr sagte Rotzko zu seinem jungen Gebieter:
»Sie bedürfen meiner jetzt nicht mehr, Herr Graf?
– Nein, Rotzko.
– Dann werde ich auf der Terrasse meine Pfeife rauchen.
– Geh’ Rotzko, geh’.«
Halb in einem Lehnstuhl liegend, ließ Franz die ihm unvergeßliche Vergangenheit noch einmal vor seinem Innern vorüberziehen. Er befand sich in Neapel während der letzten Vorstellung im San Carlo-Theater…. Er sah den Baron von Gortz wieder in dem Augenblicke, wo dieser ihm erschien… wo er den Kopf aus der Loge vorbeugte, sein Blick sich brennend auf die Künstlerin richtete, als wollte er diese bezaubern….
Dann wandte sich der Gedanke des jungen Grafen dem von jenem Sonderling unterzeichneten Briefe zu, in dem er, Franz von Telek, beschuldigt wurde, la Stilla getödtet zu haben….
Während er sich so in seine Erinnerungen versenkte, fühlte Franz von Telek wie der Schlaf ihn langsam übermannte.
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