Das Karpathenschloß
Noch befand er sich in jenem gemischten Zustande, wo man das geringste Geräusch wahrzunehmen vermag, als ein wunderbares Ereigniß eintrat.
Es scheint, als ob eine sanfte schmeichelnde Stimme durch den Raum ertönte, in dem sich Franz allein, gewiß ganz allein befand.
Ohne sich zu fragen, ob er wache oder träume, erhebt sich Franz von Telek und lauscht.
Ja! Da erschien es, als ob sich ein Mund seinem Ohr genähert hätte, und als ob unsichtbare Lippen das ergreifende Lied Stefano’s, und zwar die Worte sängen.
Nel giardino de ‘mille fiori,
Andiamo, mio cuore…
Diese Romanze… Franz erkannte sie – diese süße, sich einschmeichelnde und doch so tief rührende Romanze – hatte la Stilla in dem letzten Concerte gesungen, das sie vor ihrer Abschiedsvorstellung veranstaltete…
Wie eingewiegt und ohne sich über etwas Rechenschaft zu geben, überließ sich Franz der Wollust, diese Stimme noch einmal zu hören.
Dann geht der Vers zu Ende, und die allmählich leiser werdende Stimme verhallt in leichten Schwingungen der Luft.
Doch Franz hat seine Erstarrung abgeschüttelt… er ist hastig aufgesprungen… hält den Athem an und sucht ein entferntes Echo dieser Stimme, die ihm zum Herzen dringt, zu erhaschen….
Doch Alles ist still, hier drinnen und draußen.
»Ihre Stimme!… murmelte er. Ja, das war ihre Stimme, die ich so sehr geliebt habe!«
Dann kommt er völlig wieder zu sich.
»Ich habe geschlafen, sagt er, ach, ich habe so schön geträumt!«
Elftes Capitel.
Noch befangen von den Visionen der Nacht, wurde der junge Graf am folgenden Morgen munter.
Im Laufe des Vormittags gedachte er das Dorf Werst zu verlassen, um sich nach Karlsburg zu begeben.
Nach kurzem Besuche der Industrieorte Petroseny und Livadzel gedachte sich Franz einen ganzen Tag in Karlsburg aufzuhalten, bevor er für etwas längere Zeit nach der Hauptstadt Siebenbürgens weiter zöge. Von hier sollte ihn dann die Eisenbahn nach dem Herzen Ungarns, dem letzten Ziele seiner Reise führen.
Franz war aus dem Gasthause herausgetreten und lustwandelte, ein Fernglas vor den Augen, auf der Terrasse, von der aus er tief erregt die Umrisse der Burg betrachtete, die die aufsteigende Sonne auf dem Plateau des Orgall schon erkennbar beleuchtete.
Sein Gedankengang war etwa folgender: wenn er nun nach Karlsburg kam, sollte er da das den Bewohnern von Werst gegebene Versprechen einlösen und die Polizei davon benachrichtigen, was auf dem Karpathenschlosse vorging?
Als der junge Graf sich verpflichtet hatte, dem Dorfe seinen Frieden wieder zu sichern, geschah das in der festen Ueberzeugung, daß die Burg einer Rotte von Verbrechern als Schlupfwinkel diene, oder daß doch verdächtige Gesellen, die ein Interesse daran hatten, nicht entdeckt zu werden, es zu Stande gebracht hätten, jede Annäherung anderer Personen zu vereiteln.
Im Laufe der Nacht hatte sich Franz das freilich anders überlegt. In seinen Gedanken hatte sich ein Wechsel vollzogen, und jetzt zauderte er. In der That war ja der letzte Abkömmling der Familie von Gortz, der Baron Rudolph, seit fünf, Jahren verschwunden und Niemand hätte wissen können, was aus ihm geworden war. Zwar hatte sich das Gerücht verbreitet, daß er gestorben sei, angeblich bald nach seinem Weggang von Neapel, doch ob das begründet war, dafür gab es keine Beweise. Vielleicht lebte der Baron von Gortz noch heute, und wenn er lebte, warum sollte er dann nicht nach dem Schlosse seiner Ahnen zurückgekehrt sein? Warum könnte Orfanik, scheinbar sein einziger Vertrauter, ihn nicht dahin begleitet haben und könnte dieser seltsame Gelehrte nicht der Urheber und Veranstalter der Erscheinungen sein, die das Land ringsum fortwährend in Angst und Schrecken setzten? Dergleichen Gedanken stiegen, einer aus dem andern sich entwickelnd, in Franz von Telek auf.
Eine derartige Vermuthung erschien gewiß ziemlich naheliegend, und wenn der Baron Rudolph von Gortz und Orfanik in der Burg Zuflucht gesucht hatten, so begriff es sich auch, daß sie diese unzugänglich zu machen bemüht gewesen wären, um darin das einsame Leben zu führen, das ihren Gewohnheiten und Charakteren entsprach.
War das aber der Fall, so fragte es sich doch, wie der junge Graf sich dann verhalten sollte, da er ja keine rechten Gründe hatte, sich in die Privatangelegenheiten des Barons von Gortz zu mischen. Noch wog er hierüber das Für und Wider ab, als sich Rotzko auf der Terrasse zu ihm gesellte.
Den alten bewährten Diener
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