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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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„IN DEN KARTEN LIEGT, WAS GESCHEHEN WIRD!“
    Im nächsten Augenblick war sie wieder sie selber, brach ein großes Stück von dem Brot ab und schob es mir in die Hand. Ich biß sofort hinein und ging hinaus auf die Gasse. Das Brot schien etwas säuerlicher, als ich es gewohnt war, aber es schmeckte gut und machte genauso satt wie jedes andere.
    Draußen stellte ich fest, daß alle Zwerge in dem Dorf kleine Herzen, Kreuze, Karos oder Piks auf der Brust hatten. Sie trugen vier unterschiedliche Trachten oder Uniformen: Herz trug hellrot, Kreuz trug blau, Karo trug rosa und Pik trug schwarz. Einige wenige waren etwas größer als die anderen. Sie waren als Könige, Damen und Buben gekleidet. Die Könige und Königinnen trugen Kronen auf dem Kopf, die Buben trugen Schwerter an den Gürteln.
    Soviel ich sehen konnte, gab es von jeder Sorte nur einen: Ich sah nur einen Herz König, nur eine Kreuz Sechs und nur eine Pik Acht. Es gab keine Kinder – und auch keine alten Leute. Alle diese kleinen Menschen waren ausgewachsene Zwerge im besten Alter. Wenn sie mich bemerkten, schauten sie kurz auf, doch dann wandten sie sich schnell wieder ab, als ginge es sie nichts an, daß ein Fremder ihr Dorf besuchte.
    Nur Kreuz Sechs – der vorhin auf einem der sechsbeinigen Tiere geritten war – stellte sich mir in den Weg und sagte einen dieser sinnlosen Sprüche auf, mit denen sie mir immer kamen.
    „sonnenprinzessin findet weg zum meer“, sagte er. Dann schlüpfte er um die Hausecke und war verschwunden.
    Mir war ganz schwindlig. Ich war offenbar in eine Gesellschaft mit ausgeklügeltem Kastenwesen geraten: Die kleinen Menschen auf dieser Insel schienen sich an kein anderes Gesetz zu halten als die Regeln des Kartenspiels. Und während ich weiter durch das kleine Dorf wanderte, hatte ich das unbehagliche Gefühl, zwischen den Karten in einer Patience gelandet zu sein, die einfach immer weiterlief, ohne aufzugehen.
    Die Häuser waren niedrig und aus Holz. Davor hingen Öllampen aus Glas, wie ich sie schon in der Glashütte gesehen hatte. Sie brannten nicht, denn obwohl die Schatten schon länger wurden, war das Dorf noch in goldenes Abendlicht getaucht.
    Auf Bänken und Gesimsen standen zahllose Glasschüsseln mit Goldfischen, und überall sah ich Flaschen in verschiedenen Größen. Einige lagen auch zwischen den Häusern herum, und mancher Zwerg hielt eine kleine Flasche in der Hand.
    Ein Haus war größer als die anderen; es sah fast aus wie ein Speicher für irgend etwas. Aber von drinnen kam ein ziemlicher Krach, und als ich durch eine offene Tür hineinschaute, sah ich, daß es sich um eine Tischlerwerkstatt handelte. Vier oder fünf geschäftige Zwerge waren dabei, einen großen Tisch zu zimmern. Alle trugen schwarze Uniformen mit blauen Piksymbolen auf dem Rücken. Damit war das Rätsel gelöst: Die Pik waren Tischler.
    Die Pikzwerge hatten kohlschwarze Haare, aber viel hellere Haut als die Kreuze.
     
    Vor einem Haus saß der Karo Bube auf einem Bänkchen, streichelte sein Schwert und betrachtete die Abendsonne, die sich darin spiegelte. Er trug eine lange rosa Jacke und eine weite grüne Hose.
    Ich ging zu ihm und verbeugte mich.
    „Guten Abend, Karo Bube“, sagte ich in dem Versuch, einen kumpelhaften Ton anzuschlagen. „Kannst du mir sagen, welcher König gerade an der Macht ist?“
    Der Bube schob sein Schwert in die Scheide und blickte träge zu mir auf.
    „Der Pik König“, sagte er mürrisch. „Denn morgen ist es der Joker. Aber es ist verboten, die Karten beim Namen zu nennen.“
    „Das ist schade, denn ich muß dich fast bitten, mir zu sagen, wo sich die höchste Autorität der Insel befindet.“
    „Ud tsröh, nennen uz Neman mieb Netrak eid, netobrev tsi se?“ fragte er.
    „Was hast du gesagt?“
    „Nennen uz Neman mieb Netrak eid, netobrev tsi se“, sagte er noch einmal.
    „Aha. Und das heißt?“
    „Tßum netlahnie Nleger eid ud ßad.“
    „Ach?“
    „Uaneg.“
    „Ist das dein Ernst?“
    Ich musterte das kleine Gesicht. Er hatte die gleichen glänzenden Haare und die gleiche blasse Haut wie die Karos in der Glashütte.
    „Du mußt schon entschuldigen, aber gerade diese Sprache ist mir nicht so ganz geläufig“, sagte ich. „Ist es vielleicht Niederländisch?“
    Jetzt lag Triumph im Blick des kleinen Buben.
    „Nur Könige und Damen und Buben können in beiden Richtungen sprechen. Und wenn du das nicht kannst, dann bedeutet das, daß du weniger wert bist als ich.“
    Ich dachte nach. Wollte

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