Das Kartengeheimnis
alles. Hast du gewußt, daß es an Deck ein Schwimmbad gibt? Ich meine nicht, daß das wichtig ist, darum geht es mir nicht, ich frage bloß, ob du es gewußt hast? Und dann mußt du mir noch eine Frage beantworten: Bist du sehr traurig, daß wir nicht durch Jugoslawien fahren?«
»Schwimmbad an Deck?« fragte ich nur.
Ich glaube, im Grunde verstanden wir beide, daß es mehr nicht zu sagen gab. Trotzdem ließ mein Vater noch nicht locker: »Ich mußte eine Kabine bestellen, weißt du. Und ich hatte die Wahl zwischen einer innen im Schiff oder einer richtigen Außenkabine mit großen Fenstern und Aussicht aufs Meer. Was glaubst du, was ich genommen habe?«
Ich wußte, daß er die Außenkabine genommen hatte – und ich wußte, daß ihm klar war, daß ich das wußte. Deshalb fragte ich nur: »War die sehr viel teurer?«
»Ein paar Lire, ja. Aber ich locke meinen Sohn doch nicht aufs Meer, um ihn dann in eine Besenkammer zu sperren.«
Kurz darauf wurden wir an Bord gewunken.
Wir stellten das Auto ab und suchten den Weg in unsere Kabine. Sie lag auf dem obersten Deck und war gemütlich eingerichtet, mit großen Betten, Vorhängen und Lampen, Couchtisch und Sesseln. Vor dem Fenster liefen die Leute auf der Laufbrücke hin und her.
Obwohl die Kabine große Fenster hatte und auch sonst nicht übel war, waren wir uns darüber einig, daß sie kein fester Aufenthaltsort werden sollte. Zu der Einigung kamen wir ausnahmsweise, ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Ehe wir die Kabine verließen, fischte mein Vater einen kleinen Flachmann aus der Tasche und goß sich einen Schnaps ein.
»Prost!« sagte er, obwohl ich kein Glas zum Anstoßen hatte.
Mir war klar, daß er nach der langen Fahrt von Venedig ziemlich müde sein mußte. Andererseits ließ es ihn bestimmt nicht unberührt, daß er nach so vielen Jahren an Land endlich wieder den Seemannsgang einlegen konnte. Was mich anging, war ich so glücklich wie lange nicht mehr. Dennoch – vielleicht auch gerade deswegen – sagte ich etwas über seine Trinkerei.
»Mußt du wirklich jeden Abend irgendwelches Zeug kippen?«
»Yes, Sir!« sagte er und rülpste, und mehr wurde darüber nicht gesagt. Er dachte das Seine, und ich dachte das Meine, aber es war nicht ausgeschlossen, daß wir auf die Sache zurückkamen.
Als die Schiffsglocke die Abfahrt vermeldete, kannten wir uns an Bord schon gut aus. Ich war ein bißchen enttäuscht, als ich entdeckte, daß das Schwimmbad geschlossen war; aber Vater erkundigte sich sofort und fand heraus, daß es am nächsten Morgen früh geöffnet würde.
Wir beugten uns so lange auf dem Sonnendeck über die Reling, bis wir kein Land mehr sehen konnten.
»So, ja«, sagte mein Vater. »Und damit wären wir auf See , Hans-Thomas.«
Nach dieser wohlüberlegten Aussage gingen wir ins Restaurant. Als wir gegessen und bezahlt hatten, beschlossen wir, vor dem Schlafen noch in die Bar zu gehen und eine Runde Karten zu spielen. Mein Vater hatte ein Spiel in der Tasche. Zum Glück nicht das mit den vielen Damen.
Überall auf dem Schiff wimmelte es von Menschen aus aller Herren Länder. Ich fand viele auffallend klein, obwohl sie doch erwachsen waren. Mein Vater sagte, das seien Griechen.
Gleich beim ersten Spiel bekam ich Pik Zwei und Karo Zehn. Als ich die Karo Zehn hinlegte, hatte ich noch zwei andere Karos in der Hand.
»Glasmädchen!« rief ich.
Mein Vater schaute mich fragend an.
»Was hast du gesagt, Hans-Thomas?«
»Nichts...«
»Hast du nicht ›Glasmädchen‹ gesagt?«
»Ja, okay«, sagte ich. »Ich meine die Frauen am Tresen. Die umklammern ihre Gläser, als gäbe es nichts anderes in ihrem Leben.«
Ich fand, ich hätte mich ziemlich gut aus dieser Klemme gerettet. Aber es war schwieriger geworden, Karten zu spielen. Es war ungefähr so, als spielten wir mit den Karten, die Vater in Verona gekauft hatte. Denn als ich die Kreuz Fünf auf den Tisch legte, mußte ich sofort an die Männchen denken, denen der Bäcker-Hans auf der seltsamen Insel begegnet war. Wenn eine Karo-Karte auf dem Tisch lag, sah ich graziöse Frauengestalten mit rosa Kleidern und Silberhaaren vor mir. Und als mein Vater das Herz As auf den Tisch knallte und in einem fetten Stich Pik Sechs und Pik Acht einkassierte, rief ich: »Da ist sie wieder!«
Vater schüttelte den Kopf und fand, es sei an der Zeit, in die Falle zu kriechen. Er mußte nur noch etwas Wichtiges erledigen, ehe wir die Bar verließen. Wir waren nämlich nicht die einzigen, die Karten
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