Das Kartengeheimnis
verschiedenen Arten von Früchten. Ich erkannte Äpfel, Apfelsinen und Bananen. Das übrige waren Inselgewächse.
Wir aßen eine Weile, ehe Frode weitererzählte. Das Brot und der Käse schmeckten etwas anders, als ich es gewohnt war. So war es auch bei der Milch: Sie war viel süßer als Kuhmilch. Wirkliche Schocks erlitt ich aber erst beim Nachtisch, denn einige Früchte schmeckten so anders als alles andere, was ich kannte, daß ich immer wieder begeisterte Grunzlaute ausstieß oder überrascht vom Hocker auffuhr.
„Was das Essen angeht, so habe ich hier nie Not gelitten“, sagte der Alte. Er schnitt eine Scheibe von einer runden kürbisgroßen Frucht. Das Fruchtfleisch war weich und gelblich wie bei einer Banane.
„Und eines Morgens geschah es“, begann Frode wieder zu erzählen. „Ich hatte in der Nacht besonders intensiv geträumt. Als ich so früh am Morgen, daß der Tau noch auf dem Gras lag, das Haus verließ, ging über den Bergen gerade die Sonne auf – und plötzlich kamen von einem Hügelkamm im Osten zwei Gestalten auf mich zu. Ich glaubte, endlich, endlich Besuch zu bekommen, und ging ihnen entgegen. Das Herz hüpfte mir in der Brust, als ich näher kam und sie erkannte. Es waren der Kreuz Bube und der Herz König.
Mein erster Gedanke war, daß ich wohl doch noch in meinem Haus lag und schlief und diese seltsame Begegnung ein neuerlicher Traum war. Gleichzeitig war ich mir sicher, daß ich hellwach war. Aber das war mir auch schon oft im Schlaf passiert; ich konnte nicht ganz sicher sein.
Die beiden begrüßten mich wie einen alten Bekannten. Und das war ich im Grunde ja auch.
,Was für ein schöner Morgen, Frode‘, sagte der Herz König.
Das waren die ersten Worte, die auf dieser Insel jemand anders sagte als ich.
,Heute tun wir etwas Nützliches‘, sagte der Bube.
,Ich befehle, daß wir ein neues Haus bauen‘, sagte der König.
Und genau das taten wir dann. In den ersten Nächten schliefen die beiden hier bei mir. Nach zwei Tagen konnten sie ein nagelneues Häuschen unterhalb von meinem eigenen beziehen. Sie wurden zu meinen Kameraden – nur mit einem wichtigen Unterschied: Sie begriffen nie, daß sie nicht so wie ich in all den Jahren auf der Insel gewohnt hatten. Etwas in ihnen hinderte sie daran, sich als meine Phantasiegeschöpfe zu erkennen. Das ist natürlich bei allen Phantasiegeschöpfen der Fall. Nichts von dem, was wir in uns erschaffen, ist sich seiner selbst bewußt. Aber gerade diese Phantasieprodukte waren nicht wie alle anderen Vorstellungen. Sie waren den unerklärlichen Weg aus dem schöpferischen Raum in meinem eigenen Gehirn in den wirklichen Raum unter dem Himmel gegangen.“
„Das... das ist unmöglich!“ keuchte ich.
Aber Frode erzählte einfach weiter.
„Nach und nach kamen weitere Figuren dazu. Das seltsamste war, daß die alten darauf nie sonderlich reagierten. Sie benahmen sich alle wie Leute, die einander zufällig im Garten begegnen. Die Zwerge redeten miteinander, als ob sie sich schon immer gekannt hätten. Und das stimmte ja auch irgendwie. Sie waren in gewisser Hinsicht schon seit langen Jahren zusammen auf der Insel, denn ich hatte ja Tag und Nacht davon geträumt, wie sie sich miteinander unterhielten.
Als ich eines Nachmittags gleich hier um die Ecke im Wald Holz hackte, begegnete ich zum ersten Mal Herz As. Ich glaube, sie lag so ungefähr in der Mitte. Ich meine, sie war weder bei den ersten noch bei den letzten, die ausgeteilt wurden.
Zuerst sah sie mich nicht. Sie summte eine wunderschöne Melodie; ich blieb stehen, und mir traten die Tränen in die Augen. Ich dachte an Stine.
Ich faßte Mut und nannte sie bei ihrem Namen.
,Herz As‘, flüsterte ich.
Nun blickte sie auf und kam mir entgegen. Sie fiel mir um den Hals und sagte: ,Danke, daß du mich gefunden hast, Frode. Was hätte ich ohne dich nur machen sollen?‘
Das war eine berechtigte Frage. Ohne mich hätte sie überhaupt nichts gemacht. Aber das wußte sie nicht. Und sie darf es auch nie erfahren. Ihr Mund war so rot und weich. Ich hätte sie gern geküßt, aber irgend etwas hielt mich davon ab.
Als nach und nach immer mehr Neuankömmlinge die Insel bevölkerten, brauchten sie neue Häuser. Auf diese Weise wuchs um mich herum ein ganzes Dorf. Ich fühlte mich nicht mehr einsam, und bald bildeten wir eine Gemeinschaft, in der jeder seine bestimmte Aufgabe hatte.
Schon vor fünfunddreißig oder vierzig Jahren war die Patience komplett, mit zweiundfünfzig Figuren. Es gab
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