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Das Karussell der Spitzbuben

Das Karussell der Spitzbuben

Titel: Das Karussell der Spitzbuben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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veranlaßt?

Fall 8: Das Gesicht an der Scheibe

    Nachdenklich, ein wenig zweifelnd und ein wenig ängstlich sah Paul Demmler auf den Brief in seiner Hand. Sollte er ihn abschicken — oder sollte er ihn zerreißen?
    Würde ihn Frank dann vielleicht für einen wunderlichen alten Mann halten, der auf seine alten Tage noch Gesichter zu sehen begann? Noch einmal überlas er das Geschriebene:

    Lieber Frank,
    Du bist der einzige Verwandte, den ich noch habe und dem ich schreiben kann. Vielleicht kannst Du mir helfen. Hier geschehen sonderbare Dinge. Ich wäre auch schon längst zur Polizei gegangen, wenn ich nicht Angst hätte, daß man mich auslacht. Dabei ist mir alles andere als zum Lachen zumute. Ich hoffe sehr, daß Du wenigstens meine Worte ernst nimmst. Ich sagte schon, hier geschehen in letzter Zeit sonderbare Dinge.
    Vor vier Wochen war es das erste Mal.
    Ich saß abends in der Wohnstube auf dem Sofa und hörte Radio. Plötzlich drückte sich draußen ein Gesicht an die Scheibe. Ein Männergesicht. Ich war zuerst so erschrocken, daß ich mich gar nicht bewegen konnte. Ich schwöre Dir, lieber Frank, es war kein Geist. Es war ein lebendiger Mann, der zu mir hereinsah. Und er verzog sein Gesicht ganz gräßlich zu einer Grimasse.
    Ich bin dann mit einer Taschenlampe in den Garten gegangen, aber er war verschwunden. Das alles wiederholte sich in den nächsten Tagen noch fünfmal. Manchmal klopfte es auch an die Scheibe. Und immer, wenn ich hinsah, preßte sich dieses schreckliche Gesicht ans Glas. Und nun kommt etwas ganz Eigenartiges. Vorgestern war ich einkaufen, da sah ich das gleiche unheimliche Gesicht. Der Mann, dem es gehörte, telefonierte in einem Kaufhaus. Ich habe sogar seinen Namen verstanden: Hilder nannte er sich. Ich traute mich nicht, ihn anzusprechen... Als er mich sah, grüßte er freundlich. Lieber Frank, was will dieser Hilder von mir? Ich kenne ihn nicht. Ich habe auch nie einen Hilder gekannt. Ja, und gestern abend war er wieder da. Ich bin gleich nach oben gegangen. Was soll ich tun? Kannst Du mir nicht helfen?
    Dein Onkel Paul

    Paul Demmler nickte stumm vor sich hin. Genauso war es. Dann gab er sich einen Ruck, klebte den Umschlag zu und trug ihn zum Briefkasten. Zweimal ertappte er sich dabei, wie er sich ängstlich umsah.
    Dann begann Paul Demmler auf Antwort zu warten. Er wartete eine Woche, er wartete eine zweite Woche und — vielleicht hätte er sogar noch eine dritte Woche abgewartet, wäre nicht jener Sonntag gewesen...
    Es begann alles sehr harmonisch. Nach dem Kirchgang war er bei Heinrich Erzner zum Mittagessen eingeladen gewesen. Erzner, ein ehemaliger Berufskollege, lud Paul Demmler regelmäßig einmal im Monat ein. Damit, wie er sich ausdrückte, der arme Witwer Demmler wenigstens einmal in vier Wochen zu einem vernünftigen Essen kam.
    Anschließend hatten sie vier Stunden lang Schach gespielt. Und nach einem ausgedehnten Spaziergang war Demmler kurz vor 20 Uhr in sein kleines Einfamilienhaus zurückgekehrt.
    Er sah sich einen Film im Fernsehen an und beschloß, nach den Spätnachrichten ins Bett zu gehen. Und dann geschah es wieder...
    Es war 22 Uhr 50, im Fernsehen lief der Hinweis auf das Wetter, als Paul Demmler zur Seite sah. Das Gesicht. Das Gesicht war wieder da. Wie immer waren Mund und Nase fest an die Scheibe gepreßt. Dann verzog sich der Mund zu einem widerlichen Grinsen. Demmler starrte wie hypnotisiert auf die Fratze. Er wollte sich erheben, doch seine Beine waren zentnerschwer. Plötzlich war das Gesicht verschwunden...

    Nur langsam wich die Erstarrung von dem alten Mann. Hätte er ein Telefon in der Wohnung gehabt — diesmal hätte er davon Gebrauch gemacht und die Polizei gerufen.
    Mit schweren Beinen und hängenden Armen schlurfte er nach oben zu seinem Schlafzimmer. In dieser Nacht faßte er einen Entschluß: Er würde nicht auf Franks Antwort warten. Er würde zu ihm hinfahren. Und zwar gleich morgen!

    Es war schon dunkel, als der Zug in Breitenberg einlief. Paul Demmler nahm sich ein Taxi.
    Noch während sich der Fahrer durch den Betrieb am Bahnhofsvorplatz schlängelte, versuchte sich Paul Demmler darüber klarzuwerden, was er wohl machen würde, wenn sein Neffe nicht zu Hause wäre.
    Er war froh, als er feststellen konnte, daß diese Sorge unbegründet war: in Franks Wohnung brannte Licht.
    Er bezahlte das Taxi und drückte wenig später auf die Klingel.
    Frank Demmler, ledig, Versicherungsagent, knapp unter dreißig Jahren, riß die Augen auf. Dann

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