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Das Karussell der Spitzbuben

Das Karussell der Spitzbuben

Titel: Das Karussell der Spitzbuben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Ecke
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rief er fassungslos: „Nein, das ist nicht wahr... Mein Onkel Paul verreist…“
    Paul Demmler umarmte seinen Neffen. Arm in Arm betraten sie Franks Junggesellenwohnung.
    „Das ist wirklich eine Überraschung, Onkel Paul. An jeden hätte ich beim Klingeln gedacht. An ehemalige Schulfreunde, verlassene Freundinnen, den Gerichtsvollzieher und den Schornsteinfeger — aber niemals an dich!“ Paul Demmler ließ sich in einen Sessel fallen und erwiderte: „Hättest du meinen Brief beantwortet, hättest du mich jetzt nicht auf dem Hals!“
    Franks Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
    „Brief? Was für ein Brief, Onkel Paul?“
    Jetzt war die Reihe, erstaunt zu sein, an Paul Demmler. „Ich habe dir doch einen Brief geschrieben!“
    „Wann?“
    „Vor reichlich zwei Wochen!“
    „Ich habe keinen Brief bekommen.“
    „Bist du sicher?“ Der alte Mann wollte es nicht glauben. „Hundertprozentig sicher. Außerdem bin ich seit fast vier Wochen zu Hause und habe jeden Tag die Post persönlich entgegengenommen... Nun mach mal nicht so ein bekümmertes Gesicht. Jetzt bist du ja da und kannst mir alles selbst erzählen... Willst du was trinken, was essen?“
    Paul Demmler nickte:
    „Ein Bier würde ich jetzt ganz gern trinken. Hast du so was im Haus, oder bist du bessere Sachen gewöhnt?“ Frank sprang auf: „Habe ich da! Ich trinke auch ab und zu ein Bier.“
    Als das Bier dann auf dem Tisch stand, forderte Frank seinen Onkel auf: „Also, wo drückt der Schuh?“
    Der alte Mann sah seinen Neffen lange und ernst an, bevor er fragte:
    „Frank, hältst du mich für einen alten Trottel, der plötzlich Gesichter sieht?“
    Verblüffung, Verständnislosigkeit und schließlich Heiterkeit lösten sich nacheinander auf dem Gesicht des jungen Mannes ab. Und mit einem verschmitzten Grinsen zwinkerte er seinem Onkel zu:
    „Und ich hatte wirklich schon geglaubt, es sei etwas Ernstes.“
    „Es war mir ernst mit meiner Frage, Frank!“ erwiderte Paul Demmler ein wenig heftig.
    „Ich dachte, du wolltest dich über mich lustig machen“, verteidigte sich Frank.
    „Dazu wäre ich wohl kaum so weit hergekommen.“ Frank Demmler versuchte einzulenken:
    „Also gut, Onkel Paul, ich halte dich für keinen alten Trottel, der plötzlich Gesichter sieht. Und jetzt sagst du mir, was das alles bedeuten soll.“
    Eine ganze Weile saß der alte Mann in sich versunken da und grübelte vor sich hin. Dann sprach er:
    „Seit Wochen sehe ich immer wieder dasselbe Gesicht. Es drückt sich an die Scheiben. Mal in der Küche, dann in der guten Stube... Manchmal kratzt oder klopft er auch
    „Was für ein Gesicht?“ In Frank Demmlers Stimme schwang Sorge mit, und er blickte seinen Onkel aufmerksam an.
    „Ein Männer gesicht, Frank... Ein Männergesicht, das furchtbare Fratzen schneiden kann... Seit Wochen kommt dieser Mensch und raubt mir die Ruhe. Warum tut er das, Frank?“
    Der Gefragte beugte sich vor. Mit aufmunternder Stimme fragte er:
    „Möchtest du vielleicht einen Kognak, Onkel Paul?“
    Er fuhr erschrocken zurück, als ihn der alte Mann an-fuhr: „Ich wußte doch, daß du mich für verrückt hältst!“
    „Aber nein, Onkel Paul!“ rief Frank beschwichtigend. „Davon kann doch keine Rede sein. Komm, erzähl weiter!“
    Demmlers Hand fuhr wütend durch die Luft.
    „Was gibt’s da noch groß zu erzählen. Ich habe den Kerl ja sogar im Kaufhaus getroffen. Er hat ganz freundlich den Hut gezogen und ‚Guten Morgen’ gesagt!“
    „Und warum gehst du nicht zur Polizei?“
    „Die glauben mir nicht!“
    „Das weißt du doch gar nicht...“
    „Ich will es aber nicht riskieren, daß sie sagen, ich sei hier oben nicht mehr ganz richtig. Oder glaubst du, daß sich einer der Polizisten tagelang zu mir in die Wohnung hockt und auf das Gesicht wartet?“
    „Ich würde an deiner Stelle trotzdem Anzeige erstatten. Soll doch die Polizei sehen, daß sie diesen Hilder einfängt. Wozu zahlen wir Steuern? Die Polizei ist verpflichtet, dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Ich muß auch für mein Gehalt arbeiten!“
    Paul Demmler hatte seinem Neffen aufmerksam zugehört. Jetzt nickte er:
    „Alles schön und gut. Was mache ich aber, wenn dieser Hilder einen guten Ruf und Zeugen hat, die beschwören, daß er der liebste und anständigste Mensch ist?“
    Eine Weile war Schweigen zwischen den beiden Männern. Dann sagte Frank:
    „Geh doch mal zum Arzt, Onkel Paul. Vielleicht hast du wirklich was mit den Nerven... Da hockst du nun den ganzen

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