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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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ich es Emily erzählen, um mich zumindest ein bisschen von meiner Last zu befreien und zugleich meine Erinnerungen mit ihr zu teilen.
    Als könne sie meine Gedanken lesen, sagt sie: » Du kannst es mir ruhig anvertrauen, Gran. Ich kann ein Geheimnis für mich behalten, versprochen! «
    Die Entscheidung ist gefallen. Ich schlucke den letzten Bissen hinunter und lege Gabel und Messer beiseite.
    » Na gut « , sage ich. » Sitzt du bequem? «
    Sie nickt, kuschelt sich in den Lehnstuhl neben meinem Bett und schaut erwartungsvoll zu mir herüber.
    Obwohl ich noch nicht weiß, wie viel ich ihr erzählen werde, fange ich einfach mal an. » Eines Tages kam dein Großonkel John nach Hause und sagte, er würde gerne ein paar jüdischen Kindern helfen, die eine Hilfsorganisation aus Nazideutschland nach England gebracht hatte … «
    Meine Enkelin hört gebannt zu, ohne ein Wort zu sagen oder mich zu unterbrechen. Ich erkläre ihr, wie es kam, dass ich die Seidenweberei erlernte, wie Stefan und die beiden anderen Jungen anfingen, in der Fabrik zu arbeiten, wie ihr Onkel John in den Krieg zog und ihr Urgroßvater starb, als er jemanden aus den Trümmern seines Londoner Geschäftshauses retten wollte; wie ich plötzlich verantwortlich für die Leitung der Fabrik war und wie wir wegen der Lieferungen von Fallschirmseide unter Druck gerieten.
    Der Tee ist bereits kalt geworden, bis ich zu diesem heiklen Punkt meiner Geschichte komme, und ich frage mich, ob ich in der Lage sein werde, ihr zu erklären, was ich mir selbst kaum eingestehen kann. Aber die Worte strömen fast automatisch aus meinem Mund, als hätte mein Unterbewusstsein diese Beichte längst geprobt.
    » Es war ein entsetzlicher, ein schrecklicher Fehler « , sage ich. » Ich habe ihn seither jeden Tag meines Lebens bereut. «
    » Ich verstehe nicht, was daran so schrecklich war « , flüstert sie. » Jeder macht Fehler. Das hast du mir immer gesagt, Gran. «
    » Das war nicht bloß ein kleiner, verzeihlicher Fehler. Nein, das hier war schlimm, sehr schlimm. «
    » Warum? Es wurde schließlich niemand verletzt, oder? «
    Und so erzähle ich ihr den Rest, und meine Trauer kehrt mit aller Macht zurück. Vor allem als es um das Telegramm und den Besuch von Peter Newman geht. Ich gestehe ihr, dass ich mich schuldig an Stefans Tod fühle, weil mit dem Fallschirm etwas nicht stimmte, und dann fällt mir nichts mehr ein.
    Im Zimmer ist es eine Weile still, und ich sehe, dass in Emilys braunen Augen Tränen stehen.
    » Um Himmels willen, Gran « , sagt sie leise. » Verfolgt dich dieser Gedanke seit all diesen Jahren? « Ich nicke und reiche ihr ein Taschentuch. Sie wischt sich das Gesicht und schnieft ein bisschen.
    » Es muss schrecklich für dich gewesen sein « , sagt sie. » Kein Wunder, dass du wegen meines Sprungs so nervös warst. « Sie putzt sich geräuschvoll die Nase. » Und zu allem Überfluss zwinge ich dich auch noch, dir den Film anzusehen. «
    » Mach dir keine Vorwürfe, denn das konntest du ja nicht ahnen. «
    Sie kommt zu mir und nimmt meine Hand. » Sieh mal, Gran « , sagt sie auf ihre nüchterne Art. » Es kann gut sein, dass du dich all die Jahre grundlos gequält hast. Weil die verunglückten Sprünge gar nichts mit deiner fehlerhaften Seide zu tun hatten, sondern auf ganz andere Ursachen zurückzuführen waren. «
    » Vielleicht « , sage ich und bin doch voller Zweifel. » Natürlich habe ich mir diese Frage auch schon gestellt. «
    » Hast du jemals nachgeforscht, was den Unfall verursacht haben könnte? «
    » Selbstverständlich. Gleich nach Ende des Krieges schrieb ich an das Kriegsministerium und an die Air Force und bat um Auskunft, bekam aber lediglich die Antwort, dass es sich bei den Akten um eine geheime Verschlusssache handele. «
    » Das ist über sechzig Jahre her und die Geheimhaltungsfrist abgelaufen. Jetzt würde man dir Auskünfte geben müssen. Ich kann ja mal im Internet recherchieren, an wen wir uns wenden müssten. «
    » Ich bin mir nicht sicher, ob ich das nach so langer Zeit noch möchte, mein Mädchen. « Der Gedanke beunruhigt mich irgendwie, denn ich will nicht unnötig alte Wunden neu aufreißen.
    » Falls es so war, wie ich vermute, dass Stefans Tod nichts mit eurer Seide zu tun hatte, dann wäre es schließlich eine Riesenerleichterung für dich, die Wahrheit zu kennen « , sagt sie. » Dann müsstest du dich nicht mehr mit Schuldgefühlen herumplagen und könntest deinen Frieden machen. «
    In meinem Kopf ziehen sich

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