Das Kastanienhaus
hat Dutzende von Skeletten gefunden. «
» Das kommt dabei heraus, wenn man Krieg führt « , murmelte er missmutig.
Als wir zu Hause ankamen, hauchte ich aus reiner Höflichkeit einen Kuss auf seine Wange und dankte ihm für den Tag. Er ging nicht darauf ein, sondern sagte kurz angebunden: »Ich m uss los, habe noch etwas vor. Melde mich bald. «
Ich wusste, dass er das nicht tun würde, nicht dieses Mal, und es machte mir nichts aus. Als John mich fröhlich fragte, wie mein Date gelaufen sei, berichtete ich ihm das meiste, außer natürlich von der unangenehmen Szene nach dem Picknick. Doch er hakte gleich nach, wann ich denn Robbie wiederträfe – das schien ihm immens wichtig zu sein. » Erst mal wahrscheinlich nicht « , beschied ich ihn betont gleichgültig.
» Ich dachte, ihr zwei wärt ein Paar « , sagte er tadelnd, wenn nicht gar verärgert. » Du hast ihn doch wohl nicht abserviert, oder? «
» Nein, und wenn, könnte es dir auch egal sein « , sagte ich ungehalten. » Und ein Paar werden wir eher nicht, weil wir absolut nicht zusammenpassen. «
» Also, er würde bestimmt wollen. Das hat er mir gegenüber unumwunden zugegeben « , korrigierte John mich. » Paar oder nicht, du musst dich gut mit ihm stellen. Nicht dass du den Vertrag mit ihm durch unbedachtes Verhalten gefährdest. «
» Den hat er bereits unterschrieben « , entgegnete ich.
» Ja, aber vorerst nur für eine Probephase von sechs Monaten « , sagte John. » Wir müssen alles tun, damit er ihn verlängert. «
Seine Worte bereiteten mir Sorge. Ich hatte nicht gewusst, dass der Vertrag nur über einen so kurzen Zeitraum lief. Musste ich wirklich auf Robbies Wünsche eingehen, um die Geschäftsbeziehungen zwischen ihm und Verner’s nicht zu gefährden? Bei dem Gedanken fühlte ich mich schäbig und zugleich ausgenutzt.
Bei der Arbeit wurde ich unter Gwens gewissenhafter Anleitung immer souveräner. Obwohl ich anfangs Mühe mit der Technik hatte, konnte ich inzwischen Fäden knoten, die so fein wie einzelne Haare waren. Es gab einen runden Knoten für den üblichen Gebrauch und einen komplizierteren flachen für besonders feines Material. Der Knoten musste so gekappt werden, dass keine Fadenenden überstanden. Dafür gab es eine spezielle, winzige Metallschere, die jeder Weber stets bei sich trug und die er wie einen Schatz hütete.
Zunächst war es mir unmöglich erschienen, einen einzelnen gerissenen Kettfaden unter Tausenden zu entdecken und zu reparieren, doch Gwen zeigte uns, wie man binnen Sekunden ein winziges Ende fand und es flickte, und versicherte uns, dass es uns bald in Fleisch und Blut übergehen werde.
Ich näherte mich dem Ende meiner Lehrzeit, war stolz auf mein Können und kam mir zum ersten Mal nicht länger wie ein Hochstapler, sondern wie eine richtige Weberin vor. Meine Hände waren wie bei den anderen bedeckt von mikroskopisch kleinen Seidenfäden, die sich von den Geweben lösten, und im Lippenlesen war ich genauso gut wie die alten Hasen.
Mein eher ungünstiger erster Eindruck von Gwen war längst vergessen und einer ehrlichen Bewunderung gewichen. Sie wusste wirklich unglaublich viel und legte zudem eine Begeisterung an den Tag, die mich faszinierte. Gwen war einfach perfekt, in jeder Hinsicht die Beste.
Meine Versuche allerdings, sie auch privat kennenzulernen, mit ihr vielleicht Freundschaft zu schließen, waren bislang immer abgeblockt worden. Das bedeutete nicht, dass wir nicht miteinander auskamen – nur Freundinnen, wie ich mir das manchmal wünschte, waren wir nicht geworden. Seit Vera in London lebte, vermisste ich bisweilen die Nähe und das Verständnis einer anderen jungen Frau. Gwen jedoch umgab stets etwas Unnahbares und Geheimnisvolles, das ich nicht ganz begriff.
Dann endlich lud sie mich eines Tages zum Tee ein. Ich war seltsam nervös, als ich bei dem großen viktorianischen Gebäude am anderen Ende von Westbury ankam und die Klingel drückte. Ich musste drei Treppen bis zu ihrer Wohnung hinaufsteigen, und sie erwartete mich am Treppenabsatz.
Ich erkannte sie kaum wieder, denn sie sah völlig anders aus und gab sich auch so. Mit ihrem blumenbedruckten Shirt und lässigen, modischen Hosen, das Gesicht von Locken umrahmt, wirkte sie entspannter und weicher, als ich sie je erlebt hatte. Und viel weiblicher. Aus ihrer Wohnung drang ein köstlicher Geruch nach Selbstgebackenem. » Hm. Was gibt’s Gutes, Gwen? « , fragte ich. » Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. «
» Scones,
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