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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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froh, dass es mir immer noch Spaß macht, selbst nach sechs Jahren. «
    » Was wurde aus der Kunst? Wo sind deine Meisterwerke? « Ich deutete fragend um mich.
    » Es ist schwierig, irgendetwas an diesen Schrägen aufzuhängen « , sagte sie ausweichend. » Warte einen Moment, ich glaube, die Scones sind fertig. « Sie sprang auf und verschwand in der Küche.
    » Würdest du sie mir zeigen? « , rief ich. Da sie nicht antwortete, wiederholte ich die Frage, sobald sie ins Wohnzimmer zurückkehrte. Sie stellte den Teller mit Scones, dazu Butter und Himbeermarmelade, auf den Tisch.
    » Nimm dir einen, solange sie warm sind « , sagte sie und goss mir Tee nach.
    » Danke, die sehen köstlich aus. « Wir bedienten uns und aßen und sprachen eine Weile über die Arbeit, und dann erinnerte ich mich. » Ehrlich. Ich möchte sie gerne sehen, deine Bilder. «
    » Ich zeige sie niemandem, Lily. «
    » Wir sind Freundinnen, oder? Und außerdem interessiert es mich wirklich. « Ich hielt ihre Zurückhaltung fälschlicherweise für Bescheidenheit. » Ich frage nicht bloß aus Höflichkeit. «
    » Ich fühle mich geschmeichelt « , sagte sie, » aber es handelt sich um Aktzeichnungen, weißt du? Ziemlich persönlich, du könntest schockiert sein. «
    » Versuch’s einfach « , sagte ich unbekümmert, während in meinem Kopf die Rubens-Bilder aus der Royal Academy herumspukten. » Ich bin nicht so leicht zu schockieren. « Wie wenig ich mich doch kannte.
    » Du bist ausgesprochen hartnäckig « , seufzte sie und stellte ihren Teller ab, langte hinter das Sofa, zog eine große Pappmappe hervor und legte sie zwischen uns auf den Boden. Dann kniete sie sich hin, und ich hockte mich erwartungsvoll neben sie – gespannt, was sie gleich zeigen würde. Sie löste die pinkfarbenen Schleifen auf beiden Seiten der Mappe und klappte den Deckel auf. Als sie die erste Seite aufblätterte, kostete es mich meine ganze Selbstbeherrschung, nicht überrascht nach Luft zu schnappen.
    Ich sah eine Zeichnung in fließenden, energischen Kohlestrichen. Sie zeigte eine nackte Frau, die sich sinnlich auf dem Rücken ausstreckte, das eine Knie gebeugt und die Arme über ihrem Kopf ausgestreckt. Das Gesicht war nicht detailliert wiedergegeben, doch dunkle Schatten um die Augen vermittelten dieselbe Intensität, die ich auch oft bei Gwen gesehen hatte. Weiße Kreide betonte weibliche Kurven, wovon sich das Schwarz der Achsel- und Schamhaare dramatisch abhob.
    Ich spürte, wie ich rot wurde, während Gwens Blick prüfend auf mir ruhte. » Sie ist sehr schön. War sie eines deiner Modelle an der Kunsthochschule? « , tastete ich mich unsicher vor.
    » Nein, eigentlich nicht. «
    Ich wagte es kaum zu fragen. » Jemand aus deinem Bekanntenkreis? «
    » Ja, sie war eine Freundin. «
    » Warum ›war‹? Hattet ihr einen Streit? «
    » Nicht wirklich. « Wieder hielt sie inne und hockte sich auf die Fersen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, während sie die Zeichnung weiterhin betrachtete. Um ihr die Situation zu erleichtern, sagte ich: » Würdest du lieber nicht darüber sprechen? «
    » Warum nicht? Inzwischen ist es eine Ewigkeit her « , sagte sie emotionslos. » Sie war eine Kommilitonin von der Hochschule. Als ich hierherzog, sahen wir uns nur noch selten. Hinzu kam der Zwang, sich immer verstellen zu müssen … Es ging einfach irgendwann auseinander. «
    » Schade. Es tut weh, eine Freundin zu verlieren « , sagte ich völlig arglos, weil ich mich an Vera erinnert fühlte.
    Sie blickte mich merkwürdig an. » Wir waren nicht bloß Freundinnen, Lily « , sagte sie leise und streckte die Beine aus. » Hör zu, kann ich dir etwas anvertrauen? «
    » Natürlich « , stieß ich hastig hervor, hatte jedoch Angst vor dem, was sie sagen könnte.
    » Es gibt da etwas, was du über mich wissen solltest. « Ich kam mir vor, als würde ich gerade erbarmungslos in einen Strudel gezogen. Eigentlich wollte ich Gwens Geheimnis plötzlich gar nicht mehr wissen, aber es gab kein Zurück mehr.
    » Sie war meine Geliebte. «
    Ihre Geliebte? Ich versuchte zu verstehen, was sie gesagt hatte. » Du hast sie geliebt? «
    » Wir waren ein Paar « , sagte sie, um sicherzugehen, dass ich sie endlich verstand.
    Ein Paar. Das hieß, sie hatten es miteinander getan.
    Mein Gesicht brannte, und mein Kopf war leer. Die Luft fühlte sich heiß und schwer an, als würde sie zwischen Decke und Boden zusammengepresst. Meine Gedanken drehten sich nur noch um dieses eine Wort und seine

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