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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Bedeutung, und ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich reagieren sollte.
    » Ach du meine Güte! Ich wusste ja, dass du nicht verheiratet bist, aber … « Ich deutete auf ihren ringlosen Finger und hoffte, nicht allzu schockiert zu wirken oder etwas Verletzendes oder Dummes von mir zu geben.
    Sie wandte sich wieder der Mappe zu und betrachtete versonnen die Blätter aus schwerem Zeichenkarton. Jetzt gab es nichts mehr zu verheimlichen. Alle Bilder zeigten dieselbe Frau; bekleidet und unbekleidet, lachend, ernst, kokett – und alle wirkten ungeheuer intim.
    Mit leichter Hand hingeworfene Kohlezeichnungen tauchten auf neben kompakteren Arbeiten mit Tusche. Es gab Porträts und Halbporträts sowie Detailstudien von Zehen, Ohren, Händen – eine zeigte Finger, die in etwas griffen, was nach einem Wollhaufen aussah. Ich war verstört und fasziniert, zugleich sogar ein wenig erregt und vor allem völlig überfordert.
    Sie klappte die Mappe zu. » Jetzt weißt du es also. Habe ich dich schockiert? «
    » Ganz und gar nicht « , log ich. » Ich freue mich, dass du mir vertraust. «
    Ein angespanntes Lächeln. » Du wirst doch diskret sein? Bitte! Das ist wichtig in einer Kleinstadt wie dieser. Die Leute akzeptieren das nicht. «
    Ich nickte, während mir noch immer der Kopf schwirrte. » Natürlich. Weiß sonst irgendjemand davon? Mein Vater? «
    » Gütiger Gott, nein « , unterbrach mich Gwen energisch, und ihre Pupillen weiteten sich voller Erschrecken. » Harold hat mir den Job gegeben, weil Großvater ihm in den Zwanzigerjahren mal einen Gefallen getan hat und weil er um unsere Notlage wusste – er darf das niemals erfahren, Lily, versprich es mir. «
    » Meine Lippen sind versiegelt « , sagte ich. » Ich gebe dir mein Wort. «
    Sie lächelte ironisch, und ein betretenes Schweigen entstand. » Noch einen Scone und einen frischen Tee? « Ich sagte Ja, weil mir nichts anderes zu sagen einfiel.
    Als sie mit der Teekanne zurückkam, sagte Gwen: » Jetzt bist du dran, mir von dir zu erzählen. Es ist mir nicht entgangen, dass du dich ziemlich gut mit Mr. Cameron zu verstehen scheinst. «
    » Wir waren ein paarmal miteinander aus, mehr nicht « , sagte ich und bemühte mich, lässig und unbeteiligt zu klingen. Ganz souverän eben. » Ich glaube nicht, dass mehr daraus wird. «
    » Gut « , sagte sie. » Ist wahrscheinlich besser so, denn er scheint ein schwieriger Charakter zu sein. Außerdem ist er ein Kunde. « Sie strich Butter auf einen Scone.
    » Du kennst ihn doch kaum « , wandte ich ein, und es klang fast wie ein Vorwurf.
    » Ich kenne seine Art « , sagte sie. » Einer von den Typen, die denken, dass die ganze Welt ihnen gehört. Einschließlich der Frauen. Männer wie er wollen Frauen besitzen wie Autos oder andere Prestigeobjekte. «
    Ich schwieg, denn sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Bevor ich mich zu einer Antwort aufrappeln konnte, sprach sie schon weiter. » Außerdem weißt du ja, dass noch jemand in dich vernarrt ist. «
    » Wer denn? «
    » Der junge Herr Hoffmann. «
    » Stefan? « Mein Herz machte einen Sprung. Stefan – in mich vernarrt? Allein bei dem Gedanken erfasste mich plötzlich heftiger Schwindel, Hitze stieg mir ins Gesicht, und in meinem Bauch flatterten Schmetterlinge. Diesmal gelang es mir nicht, unbeteiligt zu wirken, obwohl ich halbherzig protestierte. » Sei nicht albern « , sagte ich zu Gwen. » Er hat nie etwas zu mir gesagt. «
    » Es ist so was von offensichtlich. « Sie schüttelte den Kopf. » Du kannst mir nicht weismachen, dass du nichts bemerkt hast. Dann wärst du die einzig Ahnungslose in der ganzen Fabrik. « Sie stellte ihre Tasse ab und sah mir mit ihren durchdringenden hellen Augen direkt ins Gesicht. » Lily, bitte sei vorsichtig. «
    » Wovor denn, um Himmels willen? « , fragte ich. Warum mischte sie sich überhaupt ein?
    » Mach ihm keine unnötigen Hoffnungen, du würdest ihn sonst verletzen « , sagte sie ganz sanft.
    Mir wurde mulmig zumute. Das waren fast die gleichen Worte, die Robbie zu mir gesagt hatte – oder sie liefen zumindest auf das Gleiche hinaus. Jedenfalls fühlte ich mich angegriffen. » Ich wüsste nicht, dass ich das je getan habe « , antwortete ich reserviert und fügte dann leicht patzig hinzu: » Und außerdem geht es dich wirklich nichts an, Gwen. «
    » Hör mir bitte einen Moment zu, Lily. Bitte. Es ist komplizierter, als du denkst. Er ist Deutscher und Jude, und ein Krieg steht vor der Tür. Die Leute sind misstrauisch. Und du

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