Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
Vom Netzwerk:
die Sonne unter. Ich warf Stefan einen verstohlenen Blick zu und bemerkte, dass er die Stirn runzelte.
    » Du bist so still geworden. Was ist los? «
    » Nichts. « Er schüttelte den Kopf. Nach einer längeren Pause fing er an: » Aber … «
    » Was ist los? « , fragte ich noch einmal.
    » Du sagst, du willst mich, aber … «
    » Aber was? Sag es mir, bitte! «
    Er flüsterte: » Es wird gemunkelt, Mr. Cameron sei dein Freund. «
    » Das ist er nicht « , rief ich vor Erleichterung, dass es nichts anderes war wie etwa eine freiwillige Meldung zur Army. » Wir sind ein paarmal miteinander ausgegangen. Zwar wollte er wohl mehr, doch es ist nichts geschehen. Das musst du mir glauben. «
    » Ich habe euch zusammen gesehen. Er tat so selbstbewusst, als gehörtest du zu ihm. «
    Ich verschloss seinen Mund mit einem Kuss.
    » Da ist allerdings noch etwas … « , fing er aufs Neue an, und wieder verkrampfte sich mein Herz angstvoll.
    » Mr. Harold? Was wird er sagen? «
    » Still! « Ich legte einen Finger auf seine Lippen. » Lass uns nicht jetzt darüber nachdenken. «
    » Du bist seine Tochter. Vielleicht ist es ihm nicht … «
    » Sicherlich wäre es besser, wenn wir uns vorerst ein wenig bedeckt hielten « , sagte ich.
    » Die glauben, dass ich erst siebzehn bin. Niemand außer dir darf mein richtiges Alter erfahren. «
    » Es bleibt unser Geheimnis, mach dir deshalb keine Sorgen « , beschwichtigte ich ihn und umarmte ihn erneut. » Wir haben uns gefunden, das ist das Wichtigste. Und bestimmt werden wir eine Lösung finden. «
    So sorglos, wie ich ihm gegenüber tat, war ich keineswegs, denn Gwens Worte wollten mir nicht aus dem Kopf gehen. Doch als die Strahlen der Abendsonne unsere kleine Höhle in ein rosafarbenes Licht tauchten, schien das alles weit, weit fort. Ich war fest entschlossen, mir diesen kostbaren Augenblick nicht verderben zu lassen. In diesem Moment wollte ich nur dasitzen, Stefans Hand halten und zuschauen, wie die Rosa- und Violetttöne des Himmels sich in dem stillen Wasser oberhalb des Wehrs widerspiegelten.
    Plötzlich aber ertönte ein schreckliches Heulen, das den Boden beben ließ. Fliegeralarm. Stefan riss voller Panik die Augen auf. » Was ist das, Lily? Ein Angriff? «
    Ich wusste es genauso wenig wie er. Hand in Hand rannten wir Richtung Wäldchen. » Wahrscheinlich ist es bloß eine Übung, doch wir sollten besser in Deckung gehen. Sicherheitshalber. «
    Wir schlugen uns durchs Unterholz in den Schutz der Bäume und hielten einander mit klopfenden Herzen fest, bis die Sirenen verklangen. Die Zeit verstrich, und obwohl nichts passierte, war der Zauber zerstört. Der Krieg hatte uns eingeholt, ob es uns nun gefiel oder nicht.

Kapitel 10
    Die Erfindung der Jacquardmaschine Ende des achtzehnten Jahrhunderts und ihre Einführung in Großbritannien zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts bewirkte, dass die Nachfrage nach Textildesigns sowohl bei Damen- und Herrenoberbekleidung als auch bei Heimtextilien enorm anstieg, und führte zu wachsendem Reichtum bei jenen Fabrikbesitzern, die die neue Technologie einsetzten.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    Trotz der düsteren Prophezeiungen der Zeitungen brachte der Krieg zunächst keine großen Veränderungen für unser alltägliches Leben mit sich. John fuhr zum Rekrutierungsbüro, und wir warteten bangen Herzens auf seine Rückkehr. Er werde bald von ihnen hören, hatte es geheißen, aber die Wochen vergingen, ohne dass ein Brief ankam. Er verlor kein Wort darüber, und ich fing an, mir absurde Hoffnungen zu machen, sie könnten seine Anschrift verloren oder ihn ganz einfach vergessen haben.
    In der Fabrik war mehr zu tun als je zuvor. Wir stellten zusätzliche Weber für Sonderschichten ein, um die steigende Nachfrage nach Fallschirmseide bedienen zu können. Nebenbei mussten wir den unzähligen Anweisungen folgen, die das Kriegsministerium als Vorkehrung für den Ernstfall jetzt beinahe täglich erließ: Wir mussten uns um Gasmasken ebenso kümmern wie um die Verdunkelung der Fenster, Feuerlöscheimer hatten bereitzustehen und vieles andere mehr. Es schien niemals aufzuhören. Natürlich wurde auch kontrolliert, ob alles vorschriftgemäß war.
    Was die Verdunkelung anging, so hatten wir es gut. Wir nahmen einfach einen dichten schwarzen Satin, der in Friedenszeiten für Smokingaufschläge gebraucht wurde, und schnitten daraus für jede Fensterscheibe in der Fabrik und im Kastanienhaus passgerechte Verdunkelungen. Auf die

Weitere Kostenlose Bücher