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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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zu weit gegangen? Grasmücken zwitscherten leise im Röhricht. Nach einer Weile drehte er mir sein Gesicht zu: » Ich bin älter, als es in meinen Papieren steht. Wir mussten das ändern, damit ich aus Deutschland herauskam. Aber ich glaube, du wusstest es bereits, nicht wahr? «
    Ich nickte.
    Er sah mir fest in die Augen. » Kann ich dir vertrauen, Lily? «
    Ich erwiderte seinen Blick. » Wie alt bist du wirklich? «
    » Ich bin einundzwanzig, seit heute. «
    » Seit heute? « Ich schnappte überrascht nach Luft – weil er um einiges älter war als erwartet und weil es so ein denkwürdiges Zusammentreffen war.
    » Ich habe heute Geburtstag « , sagte er einfach.
    » O Stefan. « Mehr brachte ich nicht heraus in meinem Gefühlschaos, stellte mich bloß auf die Zehenspitzen und umarmte ihn. Sogleich schlangen sich seine Arme so fest um mich, dass ich kaum noch Luft bekam. Unsere Wangen berührten sich, und unsere Lippen trafen sich, zuerst sanft, dann heftiger und tiefer. Jeder Teil meines Bewusstseins konzentrierte sich auf diesen Kuss, während die Wiesen und der Rest der Welt um uns herum versanken und die Zeit stehen blieb.
    Wir bemerkten es kaum, als ein großer Golden Retriever aus dem hohen Gras auftauchte und in unserer Nähe herumschnupperte – doch sobald der Besitzer des Hundes in Sichtweite kam, fuhren wir auseinander.
    » Schöner Abend für einen schrecklichen Tag « , hörten wir eine Stimme, die das gar nicht nett meinte, was sie da sagte. Wir sahen einen Mann mit gebeugtem Rücken in einem schäbigen Sakko an uns vorbeieilen, und ohne sein Gesicht zu sehen, wusste ich, wer es war.
    » Bert « , flüsterte ich Stefan stumm zu, und wir kicherten verlegen wie ertappte Kinder. Das leichte Unbehagen vergaß ich sogleich wieder.
    Ich griff nach Stefans Hand und zog ihn, halb rennend, am Fluss entlang hinunter zur Schleuse. Sie war einst von firmeneigenen Frachtkähnen benutzt worden, die Kohle für die Fabrik heranschafften, aber inzwischen fand der Transport längst nicht mehr auf dem Wasserweg statt, und die Schiffsrümpfe verrotteten im Morast. Vera und ich hatten es in unserer Kindheit als Mutprobe betrachtet, über die schmalen, geschlossenen Schleusentore zu » unserer « Insel zu balancieren. Kein ungefährliches Unternehmen, denn beim kleinsten Ausrutscher konnte man stürzen. Entweder in das tiefe, leere Becken oder auf der anderen Schleusenseite in das gurgelnde Wasser. Trotz der Gefahren hatten wir die Insel geliebt. Sie war unser geheimer Spielplatz, wo wir uns ein Lager bauten und so taten, als wären wir Piraten oder Indianer, wo wir uns mit Dornen in die Fingerspitzen pikten, Blutsbruderschaft schlossen und uns Treue bis in den Tod schworen.
    Obwohl die Balken morsch und gefährlich aussahen, fühlte ich mich wagemutig und furchtlos, und Stefan folgte mir geschickt wie eine Katze, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Auf unserem Weg zur anderen Seite der Insel, wo Vera und ich einst unser Lager aufgeschlagen hatten, schob ich Brombeergestrüpp beiseite und kletterte über umgestürzte Weiden. Unter Holunderbüschen, deren Zweige sich unter der Last lilafarbener Beeren beugten, fand ich die kleine Lichtung wieder.
    Wir küssten uns erneut, leidenschaftlicher, verzehrender, und alle Zweifel, alle Bedenken waren wie weggeblasen. Ich hielt den Atem an, bis mir schwindlig wurde, als seine Finger langsam über meine Brüste hinab zu meiner Taille wanderten. Er presste seine Hüfte an mich, und als ich seine Härte spürte, schien mein Körper zu schmelzen wie Butter in der Sonne. Es gab keine Fragen, kein Nachdenken, ob es sich richtig anfühlte. Nicht einen Moment. Alles war ganz anders als damals mit Robbie.
    Schwer atmend umfasste er mein Gesicht mit den Händen. » Ich wünsche mir das schon so lange. «
    » Ich auch « , murmelte ich und verlor mich in seinem Blick.
    Seine Augen glitzerten. » Du wolltest das auch? «
    Ich nickte, sprachlos und überwältigt vor Glück.
    » Worauf haben wir dann gewartet? « Wir lachten und küssten uns wieder und konnten gar nicht aufhören. Egal, was in der Welt passierte – in diesem Moment konzentrierte sich mein ganzes Sein darauf, seine Lippen, seine Zunge und die Hitze seines Körpers an meinem zu genießen.
    Als wir nach einer Weile erschöpft von der Intensität unserer jungen Liebe voneinanderließen, nahm er meine Hand und führte mich hinüber zu einem Baumstamm, wo wir uns hinsetzten und eine Zigarette rauchten. Über dem Wasser ging langsam

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