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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Arm um die Schultern.
    » Ich weiß, dass es hart ist. Trotzdem muss ich gehen. Ich könnte nicht hier in Westbury bleiben und zusehen, wie meine Freunde und die Männer aus der Fabrik ohne mich in den Krieg ziehen. «
    Ihre Stimme war zittrig. » Natürlich musst du tun, was du als richtig empfindest. Aber versprich mir, dass du dich nicht an die Front meldest. «
    » Nun, das kann man sich nicht immer aussuchen. Ich würde mich gerne zur Royal Air Force melden. Robbie hat mir Lust auf Fliegen gemacht, und mit Maschinen kann ich auch umgehen. Ich werde das tun, wozu es mich am meisten zieht. Falls sie mich nicht nehmen, wird es die Army. Wie auch immer, ich verspreche euch, nicht leichtfertig Risiken einzugehen. «
    Sie nickte, erhob sich schwankend, das Taschentuch in der Hand zusammengeknüllt, und verließ den Raum, murmelte im Gehen etwas von Teekochen. John wollte ihr hinterher, doch Vater schüttelte den Kopf. » Es ist am besten, sie jetzt in Ruhe zu lassen. Wenn du selbst einmal Kinder hast, wirst du verstehen, was sie gerade durchmacht. «
    Er wandte sich an mich. » Lily, mein Liebling, geh und sieh du nach ihr, ja? «
    Viel später, als Mutter sich in einen unruhigen Schlaf geweint hatte und die Sonne tief am Himmel stand, klopfte es an der Haustür. Stefan stand draußen, allein. Zweierlei war daran ungewöhnlich. Zum einen kamen sie eigentlich nur zu dritt und zum anderen ausschließlich durch die Hintertür.
    » Können wir uns unterhalten? « , sagte er fast flüsternd, und sogleich überfiel mich neue Angst. Was wollte er mir sagen? Dass er sich mit John zum Militär melden wollte? Oder war Kurt irgendetwas passiert? Das milde Abendlicht beschien sein blasses, ernstes Gesicht. Lange Wimpern warfen Schatten auf seine hohen Wangenknochen, und einzelne Haarsträhnen fielen ihm fast bis in die Augen. Wie schön er war, dachte ich, während mein Herz in meiner Brust verlangend pochte. Warum hatte ich das bislang noch nie richtig bemerkt?
    » Möchtest du hereinkommen? «
    » Nein. Ich würde lieber spazieren gehen. « Seine Stimme klang ungewohnt dringlich.
    » Warte einen Moment, ich sage Bescheid, dass ich noch einen kleinen Abendspaziergang mache. « Ich hörte selbst, wie zittrig ich sprach, wie verunsichert. » Wir können rüber zu den Auwiesen gehen. «
    Schweigend schlenderten wir über Wege, die wir beide schon viele Male gegangen waren, auch gemeinsam, doch niemals allein zu zweit. Der Abend war still und warm, der Himmel, von ein paar Wolken abgesehen, klar. Es würde einen herrlichen Sonnenuntergang geben. Die Sonne stand bereits sehr schräg und sandte ihre Strahlen in das hohe Gras, das nach dem heißen Sommer ungewöhnlich trocken war. Jetzt schimmerte es wie Moiréseide.
    Als wir beim Fluss ankamen, blieben wir stehen. Seite an Seite blickten wir auf das Wasser, das unterhalb der steilen Ufer, die mit Wiesenkerbel bewachsen waren, träge dahinfloss. Türkisfarbene Wasserjungfern gaukelten dicht über der spiegelnden Oberfläche. Die Blätter der Weiden am anderen Ufer fingen bereits an, sich gelb zu färben. Der Herbst war nicht mehr fern.
    Ich zwang mich zu warten, bis er das Wort ergriff und mir erklärte, was er auf dem Herzen hatte. » Heute ist ein großer Tag « , sagte er schließlich.
    » Wohl eher beängstigend « , schränkte ich vorsichtig ein.
    » Ich habe Angst, mir vorzustellen, was gerade mit meiner Familie passiert. «
    » Vielleicht … « Ich suchte nach tröstenden Worten, obwohl wir beide wussten, dass es wenig Hoffnung gab. » Vielleicht haben sie es über die Grenze geschafft. «
    Er schüttelte den Kopf. » So leicht ist das nicht. «
    » Aber selbst wenn nicht, dann wird der Krieg diesen schrecklichen Dingen hoffentlich bald ein Ende bereiten, und alles wird doch noch gut. «
    Wir standen eine Weile schweigend da.
    » Wir können nicht zulassen, dass dieser Mann und seine Gefolgsleute immer weitermachen wie bisher und ungestraft ihre Verbrechen begehen « , sagte er plötzlich wütend und spuckte die Worte wie Gewehrfeuer aus. » Wir müssen ihn aufhalten. «
    » Willst du dich wirklich freiwillig melden? «
    » Wenn ich auf diese Weise dazu beitragen kann, die Nazis zum Teufel zu jagen, ja. «
    » Sie werden dich gar nicht annehmen, solange du nicht mindestens achtzehn bist « , sagte ich und wartete gespannt auf seine Antwort.
    Er atmete tief ein und sah hinüber zu den Hügeln auf der anderen Seite der Wiesen. War ich mit dieser indirekten Frage nach seinem Alter

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