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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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viele Freunde, Besuche im Theater und in der Oper, Schwimmen in der Alster oder in der nahen Nordsee. Doch als ich nach der Musik fragte, berührte ich einen wunden Punkt. Voller Reue berichtete er über den Ärger, den er seinen Eltern bereitet hatte, als er sich mit siebzehn dem Jazz zuwandte, sich mit anderen Jungen seines Alters in den einschlägigen Kneipen herumtrieb. Und schließlich die Zugehörigkeit zur Swingjugend, die seine ohnehin schon problematische Situation als Jude noch verschärfte.
    Außerdem war es für seine Eltern ein großer Kummer, dass er irgendwann seine jüdische Identität zu verleugnen suchte und alles Jüdische zu hassen begann. Ohnehin nie sonderlich religiös, verkündete er sehr zum Leidwesen vor allem seiner Mutter, dass er die Synagoge nicht mehr besuchen werde, und erklärte sich zum Atheisten. Als er gezwungen wurde, die Schule zu wechseln und die ganze Familie nicht nur recht-, sondern auch mittellos dastand, besann er sich erneut auf sein Judentum. Weil er merkte, dass er in Nazideutschland immer als Jude betrachtet würde, ganz gleich wie sehr er sich auch anpasste. Während andere jetzt ängstlich ihre Herkunft zu kaschieren versuchten, bekannte er sich offen dazu. Aus Protest. Wie mit dem Jazz, den er spielte, eben weil er verboten war.
    Je länger wir uns in der Tennishütte trafen, desto stärker und schmerzhafter traten die Erinnerungen zutage. Manchmal war er voller Angst, was aus seiner Familie geworden war, weil keine Briefe mehr kamen. Und er war besessen von der Furcht, dass seine falschen Papiere entdeckt und er ausgewiesen werden könnte. Es gab nicht viel, was ihn zu trösten vermochte. Alles, was ich anzubieten hatte, waren meine Nähe, meine Liebe und flüchtiges Vergessen.
    » Nur weil das alles passiert ist, sind wir uns begegnet « , sagte ich. » Ich hatte vor zu reisen und einen dunklen, gut aussehenden Fremden zu treffen. Der Krieg hat mich an meiner Reise gehindert, aber dafür meinen Traumprinzen zu mir gebracht. « Um uns abzulenken, schmiedeten wir Zukunftspläne. Wir wollten nach Genf und dann nach Hamburg reisen. Er würde mich seinen Eltern vorstellen und mir sein Land zeigen, das Essen, das er mochte, die Musik, zu der wir tanzen würden.
    Die Hütte wurde unser kleiner Himmel, eine Oase des Glücks in einer freud- und trostlosen Zeit. Doch es sollte nicht von Dauer sein. Dieses Glück war uns nicht vergönnt.
    Vater zog die Jalousien an der gläsernen Trennwand herunter, die sein Büro vom Bereich der Sekretärinnen abtrennte. Seine ernste Miene verriet mir, dass es schlechte Neuigkeiten gab. Hatten wir einen Vertrag verloren? Oder war vielleicht ein Brief für John von der Royal Air Force eingetroffen?
    » Nimm Platz « , sagte er. Ich wartete beklommen, während er seine Pfeife stopfte und anzündete. » Wie geht es dir? « , fragte er schließlich.
    » Gut. Viel Arbeit. Wie wir alle « , sagte ich und fragte mich, worauf er hinauswollte.
    » Du siehst erschöpft aus, mein Liebling. Zeit für ein bisschen Ruhe und Erholung, meinst du nicht? Hast du gelegentlich Robbie Cameron getroffen? « , fragte er rätselhafterweise. Was sollte dieser Smalltalk über mein Liebesleben? Hier in der Fabrik?
    » Nicht wirklich « , murmelte ich, » wie das eben so ist. «
    » Schade « , gab er leicht undeutlich zurück, weil er die Pfeife im Mund hatte. » Deine Mutter und ich halten ihn für einen fabelhaften Burschen. Angenehme Manieren. «
    Wenn du wüsstest, dachte ich noch immer verwirrt. Was dann als Nächstes kam, erwischte mich völlig unvorbereitet. » Also, die Sache ist die, Lily. Es ist ein bisschen kompliziert « , stammelte er stirnrunzelnd. » Weißt du, Bert hat mich heute Morgen auf etwas angesprochen. «
    » Sprich weiter « , sagte ich beherzter, als ich mich fühlte. Tatsächlich nämlich befand ich mich im Alarmzustand, und meine Nackenhaare stellten sich auf.
    » Er hat dich und Stefan zusammen gesehen. Mehrmals. Zwar drückte er sich nicht sehr präzise aus, ließ aber anklingen, dass da etwas zwischen euch beiden läuft. Mehr als Freundschaft. Stimmt das? «
    Verfluchter Bert, dachte ich. Wichtigtuer und Denunziant. » Was geht ihn das an? « Meine Stimme überschlug sich beinahe.
    » Bevor du aus der Haut fährst, denk bitte kurz über etwas nach, ja? « , mahnte Vater betont ruhig.
    » Wie kann er es wagen? Ich gehe ja auch nicht rum und erzähle den Leuten, was er so treibt « , murrte ich. Inzwischen war ich regelrecht wütend.
    »

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