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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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sagte sie mit belegter Stimme. » Es nützt nichts, zusammenzubrechen und sich den Kopf zu zerbrechen, was passieren könnte. Wir müssen einfach weitermachen, nicht wahr? Uns beschäftigen. Müssen den heimischen Herd hüten und aufpassen, dass das Feuer nicht erlischt, bevor der Mann heimkommt. So heißt es doch immer in alten Sagen, oder? «
    Sie erhob sich schwerfällig und machte sich daran, den Tisch fürs Abendessen zu decken. Ich trocknete mir die Augen und legte den Briefumschlag zurück auf den Dielentisch. Einige Minuten später kam John nach Hause und trat in die Küche, den geöffneten Umschlag in der Hand. Er lächelte.
    » Gute Nachrichten, Mutter « , sagte er. » Ich gehe für ein paar Monate zur Schulung nach Kanada. Du brauchst dir also vorerst keine Sorgen zu machen. «
    Sie sah nicht sonderlich überzeugt aus.
    » Ich bin absolut in Sicherheit « , sagte er, » allerdings brechen wir bereits nächsten Montag auf. Ich rufe besser Vera an. «
    Nach einigen Minuten kehrte er in die Küche zurück. » Sie möchte mit dir sprechen, Lily « , sagte er. »Mach ihr Mut, s ag ihr, dass alles gut wird. Dass die Liebe auch schwierige Zeiten zu überstehen hilft. «
    » Ich habe solche Angst, dass er nicht zurückkehrt « , schluchzte Vera am anderen Ende der Leitung, in der es knarrte und knisterte. Ihre Stimme hallte in den Krankenhausfluren wider.
    » Sei nicht albern, er geht nur auf Schulung. Zwar wird er Weihnachten nicht bei uns sein, aber im März ist er zurück. «
    » Und dann? Dann wird er bei Luftangriffen auf feindliche Gebiete eingesetzt – der gefährlichste Job überhaupt, Lily. «
    Während ich sie zu trösten versuchte, sah ich mein eigenes Elend plötzlich aus einer anderen Perspektive. Was hatte ich mir bloß gedacht? Selbst wenn wir nicht zusammen sein konnten, war Stefan hier in Westbury zumindest in Sicherheit. Im richtigen Moment würde ich mit Vater sprechen oder möglicherweise zuerst mit Mutter, die mitfühlender war. Und mit etwas Glück konnte ich ihnen klarmachen, wie viel er mir bedeutete. Wie sehr wir einander liebten. Sobald sie unsere Beziehung billigten, mussten wir sie nicht länger geheim halten, und die albernen Verdächtigungen wären endgültig im Keim erstickt. Die falsche Altersangabe war sowieso mein geringstes Problem.
    Ich beschloss also, fürs Erste gute Miene zum bösen Spiel zu machen und unsere erzwungene Trennung mit Würde zu ertragen. Nachdem sich alles ein wenig beruhigt hatte, würden wir weitersehen.

Kapitel 11
    Im Jahr 1773 reichten die Weber von Spitalfields eine Petition für die Gewährung besserer Tariflöhne ein, was zum Spitalfields Act führte, der die Bezahlung im Umkreis von drei Meilen regelte. Die Besitzer der Seidenmanufakturen richteten daraufhin ihr Augenmerk auf East Anglia, wo es eine große Zahl an fähigen und willigen Webern gab, die Arbeit suchten, weil die Wollweberei dort sich zu dieser Zeit im Niedergang befand. Verner’s war eine der Firmen, die sich in der Gegend niederließen und ihr Glück machten.
    Aus: Die Geschichte der Seide von Harold Verner
    John war nicht der Einzige, der einrückte. Zwanzig weitere Männer, darunter einige unserer besten Mitarbeiter, wurden zur selben Zeit eingezogen, und es war Vaters Idee gewesen, für sie eine Abschiedsparty in der Fabrik zu veranstalten.
    » Zeigt unseren tapferen Jungs, dass wir sie unterstützen « , sagte er, und keiner widersprach. Wir mussten unsere eigenen Ängste beiseiteschieben und sie wie Helden feiern. Die Kantine wurde mit Wimpeln und Union Jacks geschmückt, die wir mühevoll aus Seidenresten zusammengenäht hatten. Kathleen und ihr Team buken Würstchen im Schlafrock und mit bunten Ornamenten aus Zuckerguss verzierte Cupcakes. Vater hatte ein Fass Bier bestellt, und Mutter stiftete eine große Korbflasche selbst gemachter Limonade. Auch die Familien waren eingeladen, und alle trugen ihren Sonntagsstaat.
    Ich sah mich nach Stefan, Kurt und Walter um, konnte sie in der Menge jedoch nicht ausfindig machen. Hatte Vater ihnen womöglich nahegelegt, nicht zu kommen, fragte ich mich. In diesem Fall sicher ein wohlmeinender Entschluss, denn bei allen patriotischen Veranstaltungen kochten nicht nur die Emotionen über, sondern auch die Ressentiments. Und die nahmen leider immer mehr zu.
    Zunächst war die Atmosphäre eher gedrückt. Keiner lachte, alle dachten wohl an die Gefahren. Mit ernstem Gesicht unterhielten sich die Leute, stellten sich stumm für Essen und Getränke

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