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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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Für den Fall, dass es dir entgangen sein sollte: Wir befinden uns im Krieg mit Deutschland. Meinst du, da ist es sehr vernünftig, nach Einbruch der Dunkelheit allein mit einem deutschen Jungen gesehen zu werden? « , sagte Vater jetzt etwas fester. » Was, glaubst du, werden da die Leute denken? «
    » Das ist lächerlich « , kanzelte ich ihn ab. » Stefan mag zwar Deutscher sein, aber er stellt doch keine Bedrohung dar. Ganz im Gegenteil: Er wurde selbst in Deutschland bedroht, befand sich in Lebensgefahr. Das wissen schließlich alle. Wer also sollte sich darüber aufregen? «
    Er unterbrach mich scharf. » Achte auf deinen Ton, Lily. «
    » Oder hast du etwas gegen ihn, weil er Jude ist? « , hakte ich nach. Die Unterstellung würde ihn zornig machen, doch das war mir egal.
    » Natürlich nicht « , sagte er verärgert. » Zu normalen Zeiten … «
    Ich unterbrach ihn. » Wo liegt dann das Problem? «
    Vater stand auf und wandte sich zum Fenster hinter seinem Schreibtisch. Ich sah, wie er seine Schultern hängen ließ, und hörte, wie er tief und stumm aufseufzte.
    » Hör mir zu, mein Liebling. Du musst das verstehen. Stefan ist ein netter Kerl, allerdings jünger als du « , sagte er leise. » Was selbst in Friedenszeiten als ungewöhnlich gilt. «
    » Na und, was machen schon ein paar Jahre? « , erwiderte ich und unterdrückte die spontane Regung, ihm die Wahrheit zu sagen. » Außerdem liebe ich ihn. Weißt du noch, wie sich so etwas anfühlt? «
    » Er ist attraktiv, das gebe ich zu, anders als die hiesigen jungen Männer « , sagte er. » Aber Liebe? Das ist ein großes Wort. Vielleicht glaubst du im Moment wirklich daran, dass du ihn liebst – auf längere Sicht allerdings wirst du dich irgendwann für jemanden entscheiden, der besser zu dir passt. «
    » Für jemanden wie Robbie, nehme ich an? Nun, tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss. Ich hasse diesen Mann, und nichts, was du vorbringst, wird mich je bewegen, meine Meinung zu ändern. «
    Vater zog die Augenbrauen hoch, doch er ging nicht weiter auf das Thema ein.
    » Es ist nicht nur das « , sagte er ruhig, setzte sich wieder hin und spielte mit seinen Stiften, die in einem Gestell aus Mahagoni neben der Schreibunterlage standen. » Es kommt darauf an, was die Leute denken. Wir können uns in der Fabrik keine Verdächtigungen und Gerüchte leisten. «
    » Verdächtigungen? Was um alles in der Welt tun wir denn angeblich? «
    Seine Miene wurde noch ernster, wenn das überhaupt möglich war. » Muss ich das wirklich laut aussprechen? «
    Ich nickte, fühlte mich schrecklich, weil ich ahnte, was jetzt kommen würde.
    » Die Leute glauben, du kollaborierst mit dem Feind. «
    Die Unverblümtheit seiner Worte schockierte mich, und fast lachte ich wegen der Absurdität. Stefan – der Feind? Der jüdische Junge, der in Deutschland um sein Leben fürchten müsste, der sollte ein Feind sein. Ein Spion gar, vor dem man sich hüten musste?
    » Wir zwei arbeiten als Agenten für die Deutschen, wie? Das ist doch lächerlich, und du weißt das ganz genau « , brach es aus mir heraus. » Du solltest Bert und den Rest – wer auch immer das sein mag – zur Rede stellen. Das wäre angebracht. «
    Er legte den Finger an die Lippen. » Pst. Willst du, dass dich alle im Büro hören? «
    » Es ist mir egal, ob die ganze verdammte Welt Bescheid weiß. Wir tun nichts Falsches, Vater. Das ist keine Schwärmerei. Und sie wird nicht wegen irgendwelcher dummer Spionagegerüchte beendet. «
    » Also, jetzt hör mir bitte zu, Lily. « Er ging um seinen Schreibtisch herum und stellte sich dicht neben mich. Seine Stimme klang drohend. » Das hier ist kein Spiel. Es ist das wahre Leben in einem Land, das Krieg führt. Ich werde keine weiteren Argumente akzeptieren. Du nimmst eine verantwortungsvolle Position in einer Firma ein, die kriegswichtiges Material herstellt. Ob du es willst oder nicht – diese Beziehung muss ein Ende haben. Anderenfalls sähe ich mich gezwungen, Stefan wegzuschicken. «
    Ich konnte es nicht fassen, und die Endgültigkeit seiner Worte raubte mir den Atem. » Das ist nicht fair. «
    Er ging an mir vorbei und öffnete die Tür. » Der Krieg ist nun mal nicht fair « , sagte er mit fester Stimme. » Und es wird nicht mehr lange dauern, bis auch du das bemerkst. «
    Ich rannte aus dem Büro und taumelte blind vor Tränen die lange Treppe hinunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Unten prallte ich mit Gwen zusammen. Wir stürzten beide zu Boden,

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