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Das Kastanienhaus

Das Kastanienhaus

Titel: Das Kastanienhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Trenow
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organisiert, um der wachsenden Nachfrage nach Fallschirmseide nachzukommen.
    Als er gegangen war, sagte Vater: » Er wird uns sehr fehlen, das weißt du. Zum Glück haben wir jemanden, der in der Lage sein dürfte, in seine Fußstapfen zu treten. « Er lächelte mich an. » Verner’s wird zum ersten Mal in seiner Geschichte einen weiblichen Fabrikleiter bekommen. Würdest du Gwen heraufbitten? «
    Es war wahrscheinlich das ruhigste und ernsteste Weihnachtsfest, das wir je verlebten, eigentlich kam es mir vor wie ein normaler Sonntag mit ein paar Geschenken, die wir am Abend unter dem Baum verteilten. Sie waren für unsere deutschen Jungen. Es war quälend, im selben Raum wie Stefan zu sein und ihn nicht berühren oder auch nur vertraulich mit ihm sprechen zu dürfen. Obwohl Weihnachten kein jüdisches Fest ist, vermissten die drei an diesem Abend ihre Familien noch mehr als sonst. Das Heimweh in ihren Augen konnte einem das Herz zerreißen, und so war niemandem nach Feiern zumute.
    Im Januar ging ich stolz mit meinem neuen blauen Sergekostüm, das Mutter mir während der Weihnachtspause genäht hatte, zur Arbeit. Jetzt sah ich wirklich sehr geschäftsmäßig aus, und der neue Job war für mich ein kleiner Trost.
    An einem meiner ersten Tage im Büro rief er an. Ich kämpfte immer noch ein wenig mit der Telefonanlage. » Hallo, äh … Verner’s Seidenweberei. Äh … Guten Morgen « , stotterte ich.
    » Lily, bist du das? «
    Die kultivierte Stimme hätte ich unter Tausenden erkannt, und ich war ziemlich verlegen, bekam mich zum Glück schnell wieder in den Griff. » In der Tat. Miss Verner, Assistentin des Direktors. Womit kann ich Ihnen dienen, Mr. Cameron? « Jetzt kam Robbie richtig in Fahrt.
    » Aha, eine Beförderung? Glückwunsch, Miss Verner. Es hat nie zu Ihnen gepasst, dieses Dasein als einfache Arbeiterin, wissen Sie? Sie haben zu viel Klasse. Wenigstens müssen Sie diesen schrecklichen Kopfputz nicht mehr tragen. « Seine Unverfrorenheit empörte mich, und am liebsten hätte ich den Hörer hingeknallt. » Wäre die Assistentin des Direktors gewillt, ein Anliegen weiterzuleiten? « , sagte er süffisant.
    » Nur wenn Sie sehr höflich darum bitten « , gab ich ironisch zurück.
    » Ich komme nächste Woche bei Ihnen vorbei. Dachte, Sie würden Ihren Leuten vielleicht gerne eine interessante Demonstration gönnen, die ihren Eifer bei der Produktion anstachelt. Es dauert nur eine halbe Stunde oder so. Was meinen Sie? «
    Natürlich konnte ich nicht Nein sagen.
    Ich versuchte mich im Hintergrund zu halten, als Vater Robbie mit einem herzlichen Handschlag begrüßte. » Prima, alter Knabe. Schön, Sie wiederzusehen. «
    Robbie gab sich überschwänglich wie immer. » Mr. Verner, Miss Verner , das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Ich bin äußerst dankbar für die Gelegenheit. Bezeugen wir den Kerlen, unseren Truppen an der Heimatfront, doch einmal unsere Anerkennung für die prima Arbeit, die sie im Dienst des Vaterlands leisten, oder? «
    » Bald wird es hier jede Menge Frauen geben und nur noch wenige Kerle « , sagte ich leise, doch er ignorierte meinen Einwand.
    » Wo soll die Vorführung stattfinden? « , fragte Vater. » In der Kantine? «
    Robbie schaute aus dem Bürofenster. » Wie wäre es mit dem Hof? Es ist nicht allzu windig. Sonst wäre es schlecht, das Ding draußen aus der Packung zu ziehen. « Er hielt einen kleinen khakifarbenen Canvasbeutel in die Höhe, in dem zweifellos ein Fallschirm steckte. Allerdings hatte ich bislang keine Ahnung gehabt, dass eine solche Menge Seide in ein derart kleines Täschchen passte.
    Gwen und Robbie organisierten die » Truppen « . Er stand an der Fabriktür und hielt den Beutel auf, drückte jedem Mitarbeiter, der an ihm vorbeiging, ein Stück der Fallschirmkappe in die Hand und wies ihn an, gut festzuhalten, während er selbst den Rand mit den Fangleinen so straff wie möglich zog. Schließlich kam eine riesige Fläche aus Seide zum Vorschein, kräuselte sich wie die Schaumkronen eines tosenden Meeres, und die Leute, die den Fallschirm hielten, mussten sich in den Boden stemmen, um nicht in die Luft gezogen zu werden. Als der Rundkappenschirm vollständig aus seiner Hülle befreit war, wurde er von fast vierzig Leuten gehalten.
    Stefan trat erst jetzt aus der Halle und mied bewusst meinen Blick. Ich bemerkte, wie seine Miene sich aufhellte, als er die blendend weiße Kuppel sah, die fast den ganzen Hof ausfüllte. Es war ohne Frage ein beeindruckender

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