Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
allerdings weniger des harten Nachtlagers oder des Hungers und Dursts wegen, den sie litt. Warum hatte sie nichts bemerkt? Warum war es ihr nicht gelungen, den Diebstahl zu verhindern? War sie nicht genau deshalb auf diese Reise mitgeschickt worden, um alle Unbill zu verhindern? Das war der Auftrag, den Dominga ihr erteilt hatte, und sie hatte kläglich versagt. Zwar klagten die Männer sie keiner Schuld an, sie selbst jedoch ersparte sich keine Vorwürfe. So nahm sie auch nur wenig von dem, was sie sich erbettelten, und ertrug den Schmerz des Hungers mit Gleichmut.
In der Nacht träumte sie von Dominga. Es war ein sehr lebhafter Traum, denn es kam ihr vor, als würde sie erwachen. Sie richtete sich auf und sah einen seltsamen Lichtschimmer hinter einem Felsblock in der Nähe. Mit schwebenden Schritten folgte sie dem Schein und umrundete den Felsen. Dort stand Dominga vor ihr. Sie trug ein langes weißes Gewand, und das Leuchten ging von ihrem Gesicht aus. Sie blickte freundlich, ganz ohne Vorwurf, was Jimena erst recht Tränen in die Augen trieb.
Aber nein, mein Kind , rief Dominga und schloss sie trös tend in die Arme. Du hast nicht versagt. Ihr seid auf der Landstraße beraubt worden? Sie lachte. Na und? Glaubst du, einer solchen Lappalie wegen schickte ich dich wochenlang übers Land bis nach Aragón?
»Weshalb dann?«, wollte Jimena wissen. »Ich habe den Männern bislang rein gar nichts genutzt. Ich war ihnen nur eine Plage.«
Sei nicht so hart mit dir, mein Liebes. Ich weiß, was ich tue, also vertraue mir und bleibe wachsam. Noch habt ihr euer Ziel nicht erreicht, und gerade in Kastilien lauern viele Gefahren auf den Prinzen. Tödliche Gefahren! Die Mendozas haben ihre Schergen überall. Ein Preis ist auf seinen Kopf ausgesetzt, den jeder Herumtreiber sich gern verdienen möchte, und viele der Städte und Dörfer sind in den Händen der Mendozas. Sie wollen Fernando aus dem Weg räumen und diese Hochzeit unbedingt verhindern!
»Aber wem können wir dann noch vertrauen? Wohin können wir uns wenden? Bis Valladolid sind es noch viele Tage!«
Die Stadt El Burgo de Osma ist noch auf Carrillos Seite und damit auch auf der von Isabel. Doch sei auf der Hut, mein Kind. Ich vertraue dir und deinen Kräften!
Als Jimena erwachte, fragte sie sich, ob es wirklich ein Traum gewesen war, so lebhaft konnte sie sich an jede Einzelheit erinnern. Ja, es war ihr, als könne sie noch Domingas tröstende Umarmung spüren. Seltsam gestärkt erhob sie sich. Sie fühlte nicht einmal Hunger und Durst, und als sie in den Sattel stieg, plagten sie auch keine Schmerzen im Rücken. Ja, selbst die aufgescheuerten Stellen brannten nicht mehr so sehr. Mit einem Lächeln auf den Lippen ritt sie in den Morgen.
Sie erreichten den kleinen Ort El Burgo de Osma am späten Nachmittag.
»Ich lechze nach einem saftigen Braten mit Zwiebeln und frischem Brot«, seufzte Don Alonso.
»Und ich nach einem oder lieber gleich mehreren Bechern kühlem Wein«, stimmte ihm Don Gutierre zu. Wobei Jimena vermutete, dass Hunger und Durst nicht mehr so groß sein konnten wie am Vortag. Ihre erschöpften Pferde hatten sie am Morgen gegen Essen und Wein eingetauscht und sich dann mit den beiden Maultieren auf die letzte mühselige Etappe begeben. Während die Begleiter aus Aragón und Kastilien nun zu Fuß über die Landstraße schlurften, durfte Jimena auf einem der beiden Maultiere neben Prinz Fernando herreiten. Erst als ihr Ziel schon in Sichtweite kam, stieg auch Fernando ab und spielte wieder seine Rolle als junger Maultiertreiber.
»Endlich«, murmelte Don Gonzalez und schritt zielstrebig auf das Tor zu, doch die Wachen traten ihnen in den Weg.
»Was wollt ihr hier?«
»Eine Unterkunft und eine Mahlzeit, um uns zu stärken«, sagte er forsch.
Der Wächter ließ seinen Blick abschätzend über die abgerissene Gruppe schweifen, die wirklich ein erbärmliches Bild bot.
»Habt ihr genug Geld, um zu bezahlen? Wir haben selbst genug Bettler und wollen nicht noch fremde hier.«
»Das muss nicht deine Sorge sein«, wiegelte Don Gonzalez ab, doch damit traf er den falschen Nerv des Wächters. Jimena sah es an seiner Miene und spürte den Zorn, den vermutlich Don Gonzalez’ Tonfall aufwallen ließ. Es war einem Don angemessen, so mit einem Wachposten zu sprechen, einem fremden Bettler, für den der Mann ihn hielt, jedoch nicht. Drohend hob er seine Lanze.
»Verschwindet von hier!«, befahl er.
Don Gutierre schob den Mayordomo beiseite und versuchte
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