Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
noch fast völlig dunkel war. Dennoch schien ihr, als sei irgendetwas anders als sonst – abgesehen davon, dass ein seltsamer Schwindel ihre Gedanken lähmte, so als habe sie am Abend zuvor zu viel getrunken.
Hatte sie das etwa? Jimena versuchte sich zu erinnern. Nein, sie waren einfache Händler, die sich nicht viel Wein leisten konnten, und außerdem achtete sie stets darauf, dass sie den ihren mit Wasser verdünnte, um einen klaren Kopf zu bewahren.
Was war dann los?
Die Männer schnarchten um die Wette, und selbst Don Gutierre, der meist der Erste war, der aus dem Bett sprang und zum Aufbruch drängte, warf sich mit schmatzenden Lauten auf die andere Seite, noch tief im Schlaf versunken. Seltsam.
Ein schmaler, hellerer Streifen fiel Jimena ins Auge, als sie in der Kammer umherblickte. Die Tür war nicht ganz geschlossen. Wie konnte das sein? Darauf achteten die Männer stets. War einer heute Nacht hinausgegangen, um seine Notdurft zu verrichten, und hatte, als er zurückkam, die Tür nicht wieder geschlossen? Möglich war es, und dennoch … Das ungute Gefühl in ihr verstärkte sich. Ihr Blick schweifte weiter, bis er an einem Beutel hängen blieb. Es war der von Don Alonso, oder gehörte er einem der Aragonier? Sie wusste es nicht genau. Sicher war sie jedoch, dass ihn der Eigentümer niemals offen auf den Boden gelegt hätte!
In diesen Herbergen schlief man in seinen Kleidern, und so war Jimena mit einem Satz aus dem Bett und mit zwei weiteren beim Lager der Männer. Sie rüttelte Don Gutierre an der Schulter, doch der brummte nur. Jimena ließ von ihm ab und versuchte ihr Glück mit Don Gonzalez.
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Prinz Fernando stand im Türrahmen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er mit seltsam angespannter Miene.
»Ich glaube nicht«, gab Jimena ein wenig kläglich zurück. »Ich bekomme sie nicht wach, obgleich ich mir sicher bin, dass keiner von ihnen gestern zu viel getrunken hat.«
»Das haben wir gleich«, erwiderte der Prinz grimmig und verschwand wieder, nur um kurz darauf mit zwei Eimern Wasser zurückzukehren.
Jimena hatte es inzwischen geschafft, Don Gutierre wach zu bekommen, über die anderen verteilte Fernando großzügig das kalte Wasser, das schlagartig die Lebensgeister der Männer zurückrief.
Sie schüttelten sich, schimpften und fluchten, bis sie bemerkten, wer sie so rüde geweckt hatte.
»Was ist denn geschehen?«, brummte Pedro Vaca, der dem Prinzen als Vorkoster diente und als sein enger Freund galt. Luis Sánchez schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er war der älteste Mitarbeiter des Prinzen und kümmerte sich um die Finanzen seines Hofs.
»Hoheit, ich darf doch bitten«, entrüstete sich der Don. »Gibt es einen Grund für diesen morgendlichen Überfall?«
»Überfall ist das rechte Stichwort«, murmelte Jimena, die nun noch zwei weitere Bündel entdeckte, die nicht so aussahen, wie sie sollten. Sie sah zu Fernando, der eine grimmige Miene zog.
»Wie ich im Stall zu hören bekam, wurden einige Reisende beraubt«, sagte er. »Ihre Geldbörsen wurden gestohlen und alles, was sie an Wert besaßen. Der Wirt ist außer sich und will von der Sache nichts gewusst haben.«
Don Gutierre war mit einem Satz auf den Beinen und suchte nach seinem Bündel, das nicht mehr da lag, wo er es am Abend hingetan hatte. Don Alonso griff sich an den Gürtel, wo er statt seiner Börse nur noch die abgeschnittenen Lederschlaufen fand. Den anderen ging es nicht besser. Nur Jimena, die außer zwei Notgroschen, eingenäht im Saum ihres Rockes, gar kein eigenes Geld dabeihatte, vermisste nichts von ihren Sachen. Die Männer stöhnten.
»Was ist mit dem Halsband?«, keuchte Don Gonzalez und raufte sich das graue Haar.
»Das Halsband der Königin? Herr im Himmel, der Verlust wäre unersetzlich.«
Doch der Prinz winkte ab. »Es ist wohlverwahrt und noch immer im Sattelkissen eingenäht, das mir heute Nacht als Kopfkissen diente. Doch ansonsten kann ich mit nicht einem Gulden dienen.«
Seine Begleiter tauschten betretene Blicke. Keiner von ihnen verfügte mehr über irgendeine Münze. Sie waren allesamt beraubt worden, ihre Reisebündel durchwühlt. Zum Glück hatten sie die zwanzigtausend Gulden für die Braut nicht mitgenommen. Doch was sollten sie jetzt tun?
Der Wirt wies alle Schuld von sich und verlangte Bezahlung für die Nacht und das Essen. Ja, er drohte gar, die Wachen zu rufen, sollten die Männer die Rechnung nicht begleichen. Solch ein Aufsehen
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