Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
hatte.
»Ihr seid eine sehr wissbegierige junge Dame«, stellte er mit Erstaunen fest.
»Ist das die höfliche Art, mir zu sagen, dass ich zu neugierig bin?«, gab Jimena zurück.
»Aber nein«, wehrte Fernando ab. »Nichts lässt die Stunden auf staubiger Landstraße so schnell verfliegen wie Eure bohrenden Fragen, die einem keine Fluchtmöglichkeit lassen. Da vergisst man doch fast die brennende Sonne und den Durst, der die Kehle verdörrt. Doch sagt, Doña Jimena, wenn ich Euch schwöre, all Eure Fragen zu beantworten, würdet Ihr mir dann im Gegenzug auch ein wenig erzählen?«
»Ich?«, rief sie erstaunt. »Was könnte ich wissen, das Euch interessant erscheint?«
»Zum Beispiel, wie ich mir meine Braut vorstellen kann«, sagte er und wirkte in diesem Moment zum ersten Mal wie ein verschüchterter Jüngling. »Erzählt mir von Isabel«, bat er. »Und von denen, die bei ihr leben und wichtig für sie sind.«
Einerseits freute sich Jimena über sein Interesse und auch darüber, dass er – trotz seiner Erfahrungen mit Frauen – noch so etwas wie Scheu empfinden konnte, anderseits war ihr bewusst, wie leicht ein falsches Wort weitreichende Folgen haben konnte. Sie musste sich genau überlegen, was sie sagte! Sowohl über die künftige Königin als auch über deren Anhänger und Feinde. So begann sie auf sicherem Gelände mit Isabels Tugenden.
Fernando hörte ihr eine Weile schweigend zu. »Ihr geratet ja richtig ins Schwärmen«, stellte er fast ein wenig erstaunt fest.
»Warum auch nicht? Isabel ist meine liebste Freundin!«
Er sah sie ein wenig erstaunt an. »Wirklich? Ich dachte, die Infanten aller Königshäuser sind für ihren Hofstaat stets eine arge Plage. Sie sind arrogant und fordern Tag und Nacht Gehorsam, ja, und sie scheuen sich nicht, ihre Damen und Herren mit den unsinnigsten Aufträgen loszuschicken. Wehe, man erledigt nicht alles nach ihrem Willen oder liest ihnen nicht jeden Wunsch von den Augen ab! Dann gibt es harte Strafen, seien sie nun gerecht oder nicht.«
»Nein, so war Isabel nie!«, rief Jimena aus und zwinkerte dann dem Prinzen zu. »Ich weiß ja nicht, von welchen Infanten Ihr sprecht. Gab es gar bei Euch am Hof solch unangenehme königliche Sprösslinge?«
»Oh, Doña Jimena, ich durchschaue Euch. Ihr wollt wis sen, ob ich mich je so widerlich benommen habe, aber ich werde nichts zugeben, das mich in Eurer Achtung sinken ließe. Ich schwöre, ich könnte die Enttäuschung in Euren Augen nicht ertragen.«
Der Tonfall, den er anschlug, schmeichelte ihr und ließ dennoch Warnglocken erklingen. War der Prinz nicht zu freundlich zu ihr? Was führte er im Schilde? Er war charmant, ja, und die Folgen trugen seine Damen nun deutlich sichtbar mit sich herum! Würde er hier und jetzt auf dem Weg zu seiner Braut mit einer ihrer Frauen anbändeln wollen?
Jimena kannte immerhin die Männer am Hof König Enriques gut genug, um dies zumindest nicht auszuschließen. Treue war eine Tugend, die man nur von Frauen oder vom niederen Volk forderte. Jedenfalls wenn es um die eheliche Treue ging. Freundschaft und Gefolgstreue waren da schon ein höheres Gut. Wenigstens bei manchen. Jimena beschloss schweren Herzens, ein wenig auf Abstand zu gehen und ihre Worte noch vorsichtiger zu wählen.
»Morgen erreichen wir die Grenze«, sagte Don Gutierre, als sie am Abend bei einem warmen Mahl im Gasthaus zusammensaßen. Wieder einmal ohne den Prinzen, der sich noch um die Tiere kümmerte und erst später etwas zu essen bekommen würde. Das Mitleid seiner Eskorte hielt sich allerdings in Grenzen.
»Er ist jung, und es schadet ihm nichts, wenn auch er nicht nur das Wort Entbehrung kennt. Vielleicht hat er dann später ein offeneres Ohr für die, die Not leiden«, meinte Don Gonzalez, und Jimena musste ihm im Stillen recht geben.
Sie begaben sich an diesem Abend noch früher zu Bett als gewohnt, da nach dem langen, heißen Sommer endlich die ersten Wolken von Westen vordrangen. Es wurde gerade erst dunkel, da begann der Regen herabzuprasseln. Er verwandelte den Staub in Schlamm und kühlte die brennende Luft, sodass man in dieser Nacht tief in erholsamen Schlaf fallen konnte.
Jimena war noch nicht ganz aus ihren Träumen zurückgekehrt, als ihr bewusst wurde, dass etwas nicht stimmte. Mit einem Ruck fuhr sie hoch. Ihr Lager war etwas abseits von dem der Männer, die noch immer schliefen. Es war noch früh am Morgen. Im Osten stahl sich der erste helle Streifen über den Himmel, sodass es in der Kammer
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