Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
konnten sie sich nicht leisten. Was, wenn man den Prinzen erkannte und er in die Hände seiner Gegner fiel? Oder wenn man ihn nicht erkannte und er wegen Zechprellerei in irgendeinem finsteren Loch verschwand, wo man ihn wer weiß wie lange schmoren lassen würde? Ihn, den man für einen einfachen Maultiertreiber hielt?
Schweren Herzens trennte Jimena mit ihrem Messer den Saum auf und bezahlte ihre Schulden. Von den kärglichen Resten erstanden sie noch ein wenig Brot und Käse, dann machten sie sich auf den Weg.
Die Stimmung war getrübt wie das Wetter, das sie den ganzen Tag mit Wind und Regengüssen verfolgte. Doch zumindest gelangten sie unbehelligt über die Grenze. Als der Abend nahte, ebbte der Regen zu einem Nieseln ab. Sie suchten an der Talschulter Schutz unter einem überhängenden Felsen, wo sie sich auf der halbwegs trockenen Erde in ihre Decken einwickelten. Das letzte Brot und der Käse wurden aufgeteilt. Es war nur ein kärgliches Mahl für jeden von ihnen. Sie tranken das Wasser, das ihnen eine Bäuerin an ihrem Brunnen zu schöpfen erlaubt hatte.
Sie schliefen alle nur wenig in dieser Nacht, und Jimena fühlte sich schmutzig und wie zerschlagen, als sie sich erhoben, um weiterzureiten. Der Tag wurde nun wieder trocken und heiß, doch sie konnten in keinem Gasthaus haltmachen, um sich zu erfrischen und ihren Durst zu löschen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als wie das Heer von Mittellosen, das durch das Land strich, an die Türen der Klöster zu klopfen und um eine milde Gabe zu betteln. Hatten Jimenas drei Begleiter die einfachen Lager der Einsiedeleien auf der Hinreise freiwillig gewählt, so war ihnen nun der Unmut über diese erzwungene Lage deutlich anzumerken.
»Nun brauchen wir nicht mehr so zu tun, als seien wir arme Schlucker«, verkündete Fernando, der seine gute Laune noch immer nicht eingebüßt hatte. »Nun sind wir wahrhaftig Bettler. Ist das nicht die perfekte Tarnung?«
Don Gutierre schnitt eine Grimasse, musste dann aber wider Willen lachen. »Ja, Hoheit, das ist wahr. Hoffen wir nur, dass unsere Tarnung nicht zu perfekt ist und wir nicht irgendwo als Taugenichtse verhaftet und eingesperrt werden.«
Fernando winkte ab. »Solange wir die Ordnung nicht stören oder beim Diebstahl eines Brotes erwischt werden …«
Luis Sánchez sah den Prinzen erschrocken an. »Ihr habt doch nicht etwa Derartiges vor?«
Fernando schüttelte mit einem Seufzer der Kopf. »Nein, auch wenn ich noch nicht sagen kann, wie lange es mir gelingen wird, mich zu beherrschen, bis der Hunger mich zu solch einer Tat treibt.« Er lachte ein wenig kläglich. »Nein, Ihr müsst nicht so besorgt schauen, Don Luis. Wenn ich den Hunger nicht mehr ertrage, dann schicke ich Pedro vor.«
Diese Worte rissen den schmächtigen Vorkoster aus seiner Lethargie, mit der er im Sattel auf dem schmutzig braunen Klepper hin und her schwankte.
»Was, ich? Nein, Fernando, das könnt Ihr nicht von mir verlangen. Ich bin zwar bereit, mein Leben zu opfern, sollte jemand versuchen, Euch mit Gift ins Jenseits zu befördern, doch meine Hand gebe ich nicht für den Diebstahl eines Brotes her!«
»Was ist denn das für eine Auffassung von Treue?«, rügte der Prinz mit einem Schmunzeln. »Doña Jimena hat recht. Es gibt heutzutage keine wahre Gefolgschaft mehr. Nicht einmal einen Laib Brot gönnst du mir!« Er feixte in Jimenas Richtung.
»So habe ich das mit der Treue auch nicht gemeint«, protestierte Jimena, musste dann aber lachen, als sie in sein schmutziges Gesicht sah, das er zu einer komischen Grimasse verzog.
»Nein, heute würde Euch nicht einmal Eure eigene Mutter wiedererkennen«, prustete sie.
Im Laufe der nächsten beiden Tage verschlechterte sich die Stimmung der Reisenden, die in aller Härte zu spüren bekamen, wie es war, kein Geld in der Tasche zu haben und auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen zu sein. Die Nächte unter freiem Himmel, der Hunger und Durst und bei Tag der beschwerliche Weg, Meile um Meile auf der staubigen Landstraße, forderten ihren Tribut. Wenn sie nicht gerade stumm vor sich hin brüteten, kam es immer wieder zu scharfen Worten zwischen den Männern aus Kastilien und Aragón. Selbst der Prinz war es müde, die Streitereien zu schlichten, und fuhr die Männer ein paarmal unwirsch an. Sie alle waren gleichermaßen schuld, dass man sie bestohlen hatte!
Jimena ritt an diesen Tagen meist ganz am Schluss und hielt ein wenig Abstand zu den anderen. Auch sie haderte mit dem Schicksal,
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