Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
das Licht an.
Isaura blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen. Dann gaben ihre Knie nach, und sie sank in sich zusammen. Unkontrolliert schluchzend kauerte sie auf dem Boden, bis weiches Fell an ihren nackten Schienbeinen entlangstrich. Der Kater maunzte und leckte ihr mit seiner rauen Zunge die Hände.
»Golondrino, wie kannst du mich nur so erschrecken? Sieh nur, was du angerichtet hast!«
Der Kater richtete seinen Blick ungerührt auf die beiden zerbrochenen Marmeladengläser, deren Inhalt sich weiträumig über dem Steinboden verteilt hatte. Schnurrend begann er, die süße Masse aufzuschlecken. Isaura rappelte sich auf und zog den sich wehrenden Kater weg.
»Nein, das ist zu gefährlich. Da sind überall Glassplitter drin«, rief sie und schob ihn aus der Küche. Dann nahm sie sich einen Eimer und warf die größeren Bruchstücke hinein. Mit einem Lappen und viel warmem Wasser machte sie sich daran, die Bescherung zu beseitigen. Es war bereits vier Uhr am Morgen, als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte. Der Kater war nicht zu sehen. Vermutlich hatte er sich schmollend durch das schmale Toilettenfenster, das er als eine Art Katzenklappe nutzte, davongemacht.
Isaura überlegte, ob sie es noch einmal mit Schlafen versuchen sollte. Erschöpft genug war sie inzwischen ganz sicher. Vielleicht würde das ja ausreichen, das Gedankenkarussell wenigstens für ein paar Stunden anzuhalten. Mechanisch bückte sie sich und hob die Zeitungsausschnitte ein zweites Mal vom Boden auf, als sie mit einem Stöhnen innehielt. Das war ihr vorhin, als sie die Artikel gelesen hatte, gar nicht aufgefallen. Es waren ein paar wenige aus deutschen Zeitungen dabei und auch aus englischsprachigen, doch die meisten waren spanischen Zeitungen entnommen.
Sie konnte kein Spanisch! Bis auf die wenigen Brocken, die sie sich beigebracht hatte. Wie zum Teufel hatte sie dann diese Artikel lesen können und dabei nicht einmal bemerkt, dass sie in Spanisch geschrieben waren?
Das war alles ein wenig zu viel. Der Stapel entglitt ihren Händen, doch sie machte sich nicht die Mühe, sich noch einmal danach zu bücken. Sie wankte nach oben und fiel auf ihr Bett, wo die Träume nach ihr griffen und sie wie so oft in eine längst vergangene Zeit entführten.
Kapitel 32
Segovia, 1474
Isabel blieb den Sommer und den Herbst über in Segovia. Der König ließ sich nicht wieder blicken. Dafür vergrößerte sich Isabels eigener Hofstaat fast von Tag zu Tag. Nicht nur Hidalgos, sogar der ein oder andere Grande scharte sich um sie, und ihre Frauen oder Töchter baten, ihr dienen zu dürfen, was Beatriz mit wachsendem Misstrauen betrachtete. Anderseits wuchs dadurch, dass nun andere Damen sich die Aufgabe teilten, Isabel zu umsorgen, die Freiheit der Freundinnen.
Auch Kirchenmänner machten sich nach Segovia auf, um die Kronprinzessin in Augenschein zu nehmen, auf deren Wohlwollen man ja vielleicht eines Tages angewiesen sein würde. Während es viele gab, denen es geradezu auf der Stirn geschrieben stand, was sie begehrten, gab es zu Jimenas Erleichterung auch manch angenehme Ausnahme. Isabel war auf der Suche nach einem Beichtvater. Zwar wuchsen ihr Vertrauen und ihre Sympathie für Kardinal Mendoza zunehmend, doch sein hohes Kirchenamt forderte einen großen Teil seiner Zeit, und so war er nicht so oft bei Hof, wie sie es sich für einen Beichtvater und persönlichen Berater gewünscht hätte.
Ende November kam überraschender Besuch nach Segovia. Jimena schlief schlecht in dieser Nacht, doch sie ahnte nicht, was der Tag ihr bringen würde, bis die Besucherin vor ihr stand.
»Tía Dominga! Ich wusste nicht …«, stotterte sie fassungslos, »… ich hatte keine Ahnung, dass du kommen würdest. Ich habe es nicht gesehen!«
Dominga umarmte ihre Nichte und ihre Tochter, die nicht so überrascht wirkte.
»Ich wollte nicht, dass es jemand erfährt. Ich muss mit Isabel sprechen. Es ist sehr wichtig!«
Zu Jimenas Bedauern durfte sie selbst bei dem Gespräch nicht mit dabei sein. Ja, Dominga schickte sie sogar ausdrücklich hinaus, und da Isabel ihr nicht widersprach, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Tür hinter sich zu schließen. Allerdings blieb sie in der Nähe und ging rastlos auf und ab, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Sie wollte unbedingt einen Blick auf Isabels Miene werfen, solange die Nachricht noch frisch war. Vielleicht würde es ihr gelingen, in ihrem Blick zu lesen, oder möglicherweise drängte es die Freundin auch, sich ihr
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