Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
ebenfalls um eine undurchschaubare Miene bemüht.
»Dann bin ich froh, dass nicht ich Ihnen diese Botschaft überbringen musste. Allerdings ist es jetzt an Ihnen zu entscheiden, wie es weitergeht. Diese Sandy bestand darauf, ihn sofort nach Deutschland in ein Münchner Krankenhaus bringen zu lassen. Ich hatte den Eindruck, sie ist überzeugt, dass wir ihm hier, äh, keine ordentliche Versorgung bieten können.«
Obwohl Isaura vielleicht in einem anderen Zusammenhang Ähnliches über spanische Krankenhäuser gedacht haben mochte, ärgerte sie sich über diese dreiste Forderung. Wer war diese Sandy, dass sie glaubte, das Recht zu haben, über Justus’ Schicksal zu entscheiden? Genügte es, einen Embryo in sich zu tragen, den er gezeugt hatte? Hatte Justus mit der Absicht, sich scheiden lassen zu wollen, Isaura aus seinem zukünftigen Leben ausgeschlossen?
Der Arzt schien ihren Konflikt zu ahnen. »Sie sind seine Ehefrau. Es ist Ihre Entscheidung oder die eines anderen nahen Angehörigen.«
Isaura überlegte. »Würden Sie zu diesem Zeitpunkt zu einer Verlegung raten?«
»Nein«, sagte der Arzt mit Überzeugung. »Nicht, solange sein Zustand nicht stabil ist. Selbst ein leichter Druckabfall oder die Erschütterungen einer Autofahrt könnten seinen Zustand verschlechtern.«
»Gut, dann ist das entschieden. Justus bleibt hier, bis Sie mir sagen, dass Sie einem Transport nach Deutschland guten Gewissens zustimmen können.«
Marco Jiménez Díaz neigte das Haupt. »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Und nun fahren Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus, Señora Thalheim. Die Nacht bricht herein, und Sie sollten schlafen und Kräfte sammeln.«
Als hätten sie sich miteinander verschworen, trat in diesem Augenblick Señor Campillo heran und bot ihr an, sie nach Hause zu bringen. Isaura gab nach und setzte sich in den alten, auf Hochglanz polierten Wagen des Anwalts. Sie schwieg und hing ihren Gedanken nach, bis der Wagen in den Hof vor ihrem Haus einbog, wo der Kater sie vorwurfsvoll maunzend empfing.
Sie konnte nicht schlafen. Natürlich nicht. Isaura wälzte sich von einer Seite auf die andere, bis der Kater empört das Bett verließ und zu einem nächtlichen Jagdausflug aufbrach. Sie konnte es ihm nicht verübeln, obwohl sie den Trost seines weichen Fells dringend benötigt hätte. Immer wenn sie die Augen schloss, wiederholten sich die gleichen Bilder, die auch nach einem Dutzend Mal ihren Schrecken nicht verloren.
Der Schmerz, das splitternde Glas, der Schrei und das durch die Luft wirbelnde Auto. Doch wie es dann weitergegangen war, das weigerte sich ihr Geist hartnäckig preiszugeben.
Irgendwann gelang es Isaura, das Gedankenkarussell anzuhalten. Moment, das konnte nicht stimmen. Ihr Gehirn musste da etwas durcheinanderbringen. Es war nicht die richtige Reihenfolge. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Das splitternde Glas, nein, das konnte nicht am Anfang stehen. Es musste die Folge des Unfalls gewesen sein, nicht seine Ursache!
Du weißt, dass es nicht so ist!, flüsterte eine Stimme aus der Dunkelheit. Stell dich der Wahrheit. Du bist ihr lange genug davongelaufen, obgleich es viele Gelegenheiten gab, sie zu sehen und zu akzeptieren.
Isaura tastete nach der Nachttischlampe. Das gelbliche Licht der Glühbirne erhellte die kleine Kammer. Es war ihr, als husche ein Schatten durch den Türspalt, den sie für den Kater offen gelassen hatte. Nun jedenfalls war sie allein im Zimmer. Ohne weiter darüber nachzudenken, warf sie die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Barfuß rannte sie auf den Flur hinaus und schaltete auch dort das Licht ein. Dann stieß sie die Tür zum Bad auf, eilte ins Arbeitszimmer und dann die Treppe hinunter, bis das ganze Häuschen erleuchtet war. Natürlich fand sie niemanden. Sie wusste längst, dass ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt hatte, und doch kehrte sie in die Küche zurück, löschte das Licht und presste die Nase gegen die Scheibe. War da ein Schatten drüben vor der Scheune? Eine dunkle Gestalt in einem langen Umhang? Isaura kniff fest die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Nun war sie verschwunden. Doch der Wind frischte auf und zerrte an den noch kahlen Zweigen der Bäume. Heulend strich er zwischen Schuppen und Scheune hindurch und fuhr dann mit eisigem Hauch um das Haus. Isaura fröstelte. Die Fenster waren alles andere als dicht, und der kühle Luftzug ließ die Härchen auf ihren Armen sich aufrichten. Oder kam das von dieser kindischen
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