Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
eine Chance, meinem Hengst zu entkommen!«
Jimena betrachtete abschätzend Ramóns Jagdpferd und musste ihm im Stillen recht geben.
»Weißt du schon, dass Dominga in Segovia angekommen ist?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Sie war sich immer noch nicht sicher, was das alles zu bedeuten hatte. Jimena richtete ihren Blick auf Isabel, und da sah sie es: Sie saß in königlicher Haltung auf ihrem Pferd, den Blick weit in die Ferne gerichtet, einen pelzverbrämten weißen Mantel um ihre Schultern, und auf ihrem Haar schimmerte eine mit Edelsteinen besetzte Krone.
Jimena blinzelte ein wenig ungläubig und rieb sich die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren der weiße Mantel und die Krone verschwunden. Nur die königliche Haltung war noch da, und das geheimnisvolle Lächeln voller Erwartung, das um ihre Lippen spielte.
Da wusste sie es. Das war also die Nachricht, für die Dominga bis nach Segovia geeilt war. Wie üblich hatte sie gesehen, was passieren würde – doch war es klug, davon zu sprechen? Hatte sie nicht stets Jimena beschworen, ihre Visionen für sich zu behalten?
Immerhin war Isabel so weitsichtig, mit niemandem darüber zu sprechen. Es hätte Misstrauen erregen können, wenn andere erfahren hätten, dass sie bereits wusste, was in Kürze geschehen würde. Sie schwieg und wartete, bis die Nachricht aus Madrid eintraf, aber weder sie noch Jimena waren überrascht, vom Leiden des Königs zu hören.
»Es geht ihm nicht gut«, berichtete der Bote. »Wieder diese quälenden Leibschmerzen, die ihn an sein Lager fesseln. Dieses Mal ist es noch schlimmer als letzten Winter.«
Jimena und Isabels Blicke trafen sich.
»Du weißt es«, raunte Isabel und fügte dann hinzu: »Nein, es darf mich nicht überraschen. Dominga und du seid schließlich vom gleichen Blut.«
» Was wirst du tun?«, gab Jimena ebenso leise zurück. »Wirst du Fernando benachrichtigen? Er wird einige Tage brauchen, bis er aus Aragón zurück ist.«
Isabel überlegte. »Nein, das hat Zeit. Was sollte ich ihm schreiben?«
Das Argument war einleuchtend. Einer Magenverstimmung des Königs wegen würde Fernando nicht zurückkommen, und mehr konnte sie nicht schreiben. Zumindest wäre es nicht klug. Und vielleicht wollte sie auch gar nicht, dass er so schnell zurückkehrte, argwöhnte Jimena.
»Wir können nichts weiter tun, als abzuwarten und uns vorzubereiten.«
Beatriz gesellte sich zu ihnen und sah misstrauisch von einer zur anderen. »Habt ihr zwei Geheimnisse?«
Jimena schwieg, während Isabel den Vorwurf, ohne mit der Wimper zu zucken, abstritt.
Es war der zwölfte Dezember um die Mittagsstunde, als ein von Staub und Schweiß bedeckter Reiter sein Pferd durch die Gassen von Segovia trieb. Mit letzten Kräften überwand er die Steigung und ritt in den Hof des Alcázar, wo er entkräftet und sichtlich erschöpft vom Pferd glitt. In unglaublichen zehn Stunden hatte er den Weg von Madrid über die Sierra Guadarrama bis nach Segovia zurückgelegt. Nein, es war sicher kein Zufall, dass Jimena in diesem Augenblick den Hof betrat und dem vor Entkräftung zitternden Boten die Zügel aus der Hand nahm.
»Mein Name ist Enrique de Ulloa«, keuchte er. »Ich stehe in den Diensten von Kardinal Mendoza, und ich habe eine dringende Nachricht für Ihre Hoheit Prinzessin Isabel.«
Jimena nickte, und ihr war seltsam feierlich zumute. »Ich werde sie holen. Geht schon einmal in den kleinen Saal und wartet dort. Ich werde Euch eine Erfrischung schicken und anweisen, dass Euer Pferd versorgt wird.«
Der Bote nickte nur, zu müde für weitere Worte.
Dieses Mal wartete Jimena nicht vor der Tür. Sie wusste, welche Nachricht der Mann aus Madrid brachte:
König Enrique IV . war am vergangenen Tag im Alter von neunundvierzig Jahren elendig mit quälenden Leibschmerzen gestorben. Einige seiner Granden – wie der Graf von Palencia – hatten sich in dem armseligen Palast von Madrid versammelt, und Kardinal Mendoza saß an seinem Lager, bis er seinen letzten Atemzug tat und verschied. Dann sandte er seinen Boten über die Berge zu Isabel – zu Königin Isabel!
»Was wirst du jetzt tun?«, erkundigte sich Jimena, als ihr Isabel kurz darauf mit gefasster Miene entgegentrat. Sie mimte keine Überraschung. Sie hatte seit Tagen mit dieser Botschaft gerechnet und war bereit.
»Jetzt gilt es schnell zu handeln und Tatsachen zu schaffen, ehe meine Gegner Gelegenheit haben, sich zu formieren.«
Jimena nickte. »Wirst du warten, bis der Kardinal eintrifft?
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