Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
Büchertüte zum Sofa zu rück. War es nicht ein wenig voreilig gewesen, gleich zwei Bücher über die sogenannten katholischen Könige zu kaufen? Allein der seltsame Titel stieß ihr sauer auf. Wollte sie sich damit befassen? Fast ein wenig unwillig schlug sie die Biografie »Isabella« auf und begann zu lesen.
Kapitel 2
Arévalo, 1458
Es würde einer der wichtigsten Tage in ihrem Leben werden. Das hatte ihr keiner gesagt, doch irgendwie konnte sie es spüren. Obwohl sie sich nicht gern ankleiden und frisieren ließ und mit ihrem Gezappel die Magd bis in den Wahnsinn treiben konnte, stand Jimena heute wie erstarrt da, bis alle Bänder geschnürt und alle Haken geschlossen waren, und sie ließ es sogar zu, dass ihr üppiges schwarzes Haar sorgfältig geflochten und aufgesteckt wurde. Die Tür öffnete sich, und Dominga de Lucena trat ein. Im Gegensatz zu dem des Mädchens war ihr Haar von einem warmen Kastanienton, der von den ersten grauen Strähnen durchzogen wurde; ihre Züge waren schmaler und strenger, doch denen des Kindes durchaus ähnlich. Sie war eine groß gewachsene Frau und fast ein wenig zu schlank, um noch als schön zu gelten. Jetzt, da sie Mitte dreißig und das Weiche, Mädchenhafte aus ihrem Gesicht verschwunden war, konnte man sie fast als hager bezeichnen, doch das störte sie nicht. Die Zeit, in der sie sich um die Blicke von Männern Gedanken gemacht hatte, war längst vorbei.
An ihrer Hand führte sie ihr jüngstes Kind, die erst dreijährige Teresa. Das Mädchen hatte das gleiche kastanienbraune Haar wie die Mutter und dunkle Augen, die es jetzt weit aufriss und sich neugierig, aber ohne Furcht in dem fremden Palast umsah.
»Nun, Jimena, bist du so weit?«, fragte Dominga das Mädchen und sah sie mit diesem Blick an, der bis in ihre tiefsten Gedanken zu dringen schien, um jedes noch so kleine, finstere Geheimnis ausfindig zu machen. Davon war das Kind jedenfalls überzeugt.
Jimena knickste artig, was sie nur selten vor ihrer Tante tat, und nickte. »Aber ja, Tía Dominga. Und ich werde mich anständig benehmen, wenn wir ihr vorgestellt werden.« Sie sah mit ernstem Blick zu ihrer Tante auf, deren strenge Miene nun von einem Lächeln erhellt wurde.
»Das darf ich wohl von dir erwarten!«, sagte sie, doch ihre Stimme klang freundlich. »Du bist jetzt sieben Jahre und damit alt genug, deine erste Stellung bei Hof anzunehmen.«
Jimena nickte. Ja, auch die Söhne der Hidalgos und des übrigen niederen Adels waren bestrebt, in diesem Alter an einem der Höfe eine Stelle als Page einzunehmen und einem großen Herrn zu dienen, um später zum Schildknappen aufzusteigen, ehe sie sich die eigenen Sporen als Ritter verdienten. Ihre Gedanken wanderten zurück nach Sevilla und zu ihrem Vetter Ramón, den sie so sehr verehrte. Der Abschied war ihr schwergefallen, doch hier in Arévalo gab es keinen Platz für ihn. Er würde sich einen anderen Grande suchen müssen, um ihm zu dienen und für ihn zu kämpfen. Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Königshaus und den mächtigen Adelsfamilien des Landes, bei denen man sich beweisen konnte, gab es genug. Man musste dabei allerdings nicht nur ein großes Geschick im Umgang mit Waffen an den Tag legen, sondern auch über ein politisches Gespür verfügen, um rechtzeitig zu bemerken, wann der Wind sich drehte und es für Leib und Leben und das eigene Vermögen ratsamer war, auf ein anderes Pferd zu setzen. Sonst konnte es ganz schnell vorbei sein, was auch Dominga de Lucenas erster Gatte bitter erfahren und mit seinem Leben hatte bezahlen müssen. Das war schon etliche Jahre her, noch ehe König Juan II. starb und sein Sohn aus seiner ersten Ehe mit Maria von Aragón – Enrique – zum König von Kastilien ernannt worden war. Mit ihrer zweiten Heirat war es Dominga gelungen, ins Umfeld des Hauses Trastámara zurückzukehren, doch nun hatte der Tod auch ihren zweiten Gemahl dahingerafft, und die Witwe war gezwungen, ihre jüngste Tochter und ihre verwaiste Nichte, die sie bei sich aufgenommen hatte, selbst durchzubringen.
»Ihre Hoheit lässt bitten«, verkündete einer der Diener und verschwand dann sogleich wieder. War es Nachlässigkeit oder Absicht, dass er es den Neuankömmlingen aus dem fernen Sevilla überließ, den Saal zu finden, wo Isabel von Portugal, die zweite Gattin des verstorbenen Königs Juan II., sie erwartete? Dominga sah die beiden Kinder ernst an.
»Nun, dann lasst uns gehen und Ihrer Hoheit unsere Aufwartung
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