Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
machen.«
Jimena versuchte den Gesichtsausdruck ihrer Tante nachzuahmen, raffte ihr neues Kleid, damit sie nicht in den Saum trat, und folgte ihr durch einen langen, dunklen Gang und eine Treppe hinunter. Ein kalter Luftzug strich um die Ecken und fuhr ihr unter ihren Rock, dass es sie fröstelte.
Der königliche Palast von Arévalo war ein uraltes, düsteres Gemäuer im maurischen Mudéjarstil. Die einst roten Ziegel waren im Laufe der Zeit vom Zahn der Verwitterung angenagt und dunkel verfärbt worden. Zwei mächtige Türme ragten abweisend zu beiden Seiten der Hauptfassade auf. Die Flügel des Palasts umfassten einen rechteckigen Hof, der im Winter Schutz vor dem eisigen Wind bot, der dann durch die Gassen der Stadt fegte, und im Sommer eine Oase des Schattens war, den die brütende Sonne niemals vollständig vertreiben konnte. Es gab unzählige düstere und meist feuchte Gemächer, ebenso dunkle Gänge und Kammern, einen großen Saal und mehrere andere Räume, in denen sich dereinst die Mitglieder der Cortes getroffen hatten, wenn der König sie einberufen hatte, um sich zu beraten oder – was häufiger der Fall war – die Erhöhung und den Einzug von Sondersteuern von den Vertretern der wichtigsten Städte wie Burgos, Toledo und Valladolid, Ávila und Segovia oder auch Córdoba und Sevilla absegnen zu lassen. Heutzutage war der alte Palast nur noch der Witwensitz der einstigen Königin, den ihr Stiefsohn Enrique ihr überlassen hatte, um dort mit ihren beiden Kindern zu leben.
Sie folgten einem weiteren Flur, der sie zu einer zweiten Treppenflucht führte. Dominga blieb stehen und sah sich ein wenig ratlos um, da wehte der Klang einer scharfen Stimme zu ihr herüber. Dominga verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln und folgte mit den beiden Mädchen an der Hand der zunehmend unangenehmen Stimme bis zu einem Saal. Ein Diener öffnete ihnen mit einer Verbeugung die mit kunstvollen Schmiedearbeiten verzierte Tür. Mit kritischer Miene sah Jimena sich um.
Der Saal war weiträumiger als die Kammern und Gänge, die sie bisher vom Palast gesehen hatte, doch nicht minder düster. Zwar waren die Mauern mit einigen Wandbehängen verziert, doch diese waren von Alter und Ruß genauso dunkel wie die Wände, die sich an die Zeit, da sie einmal weiß getüncht worden waren, sicher nicht mehr zurückerinnern konnten. Die Fenster an der rechten Längsseite waren klein, sodass nur wenig Tageslicht hereinsickerte, und, wie in Burgen üblich, mit kleinen Sitznischen in die dicken Mauern eingelassen. Das Kind ließ den Blick weiter durch den Saal schweifen, bis zu dem großen Kamin in der gegenüberliegenden Wand. Dort standen zwei thronartige Sessel mit hohen geschnitzten Lehnen, die ziemlich unbequem aussahen. Auf einem niedrigen Tisch boten einige Schalen süße Mandeln und Konfekt und allerlei kandierte Früchte an. In der Ecke schloss sich ein mit dicken Teppichen und Kissen belegter Diwan an, wie er in keinem maurischen Haus fehlen durfte, der aber genauso bei Juden und Christen ganz besonders in der Gegend von Sevilla, ja, im ganzen Süden des Landes beliebt war.
Dort auf dem Diwan saßen einige Damen in ihren langen weiten Röcken, die sich unter den geschnürten Miedern bauschten, gemütlich im Schneidersitz. Jimena sah auch zwei Mädchen, die kaum älter waren als sie selbst, und einen Jungen von etwa fünf Jahren.
Jimena ließ ihren Blick zu der keifenden Frau hinüberwandern, die längst nicht so alt war, wie ihre Stimme vermuten ließ. Vielleicht um die dreißig? Dennoch kam sie ihr wie eine alte Frau vor, und das nicht nur, weil sich bereits Linien der Verbitterung in ihr Gesicht gegraben hatten. Da war noch etwas, das das Kind nicht recht fassen konnte. Jimena starrte sie an, konnte aber aus ihren Gefühlen nicht recht schlau werden. Das also war die Witwe König Juans II., Isabel von Portugal.
Das Opfer der Schimpftirade, die immer noch andauerte, war offensichtlich das junge Mädchen, das mit gesenktem Kopf vor ihr auf dem Boden kniete und dessen einfaches Gewand dafür sprach, dass sie niemand von Bedeutung war. Auf dem zweiten Sessel saß ein Geistlicher in einer aufwendig bestickten Robe, die ringgeschmückten Hände vor der Brust gefaltet, den Blick ebenfalls auf das Mädchen gerichtet. Nun allerdings sah er zu den Neuankömmlingen auf. Forsch ging Dominga bis in die Mitte des Saals, wo sie stehen blieb und in einen tiefen Knicks versank. Jimena tat es ihr gleich. Nur die kleine Teresa blieb mit
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