Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
durchgemacht hatte. Der alternde, reizbare Buchhalter, der den Mut besessen hatte, allein gegen das Pentagon anzutreten. Sein Lohn war eine drogensüchtige Tochter, die, nachdem sie drei Jahre verschwunden war, als eine aus dem Gleichgewicht geratene Mörderin zurückgekehrt war; und jetzt, da seine Welt wieder ins Lot gekommen war, drohten die Alpträume wieder zurückzukehren. Er sollte als Köder benutzt werden.
Aber Stefan Varak war in seinem Bereich, in den dunklen Winkeln seines exotischen Berufes, brillant. Und er hatte recht.
»Machen Sie sich an die Arbeit«, sagte St. Claire. »Ich werde Inver Brass heute abend zusammenrufen.«
Die Trommeln wirbelten leise. Ein dumpfes Donnergrollen, das der Dezemberwind trug. Das Grab lag im Nordabschnitt des Friedhofes von Arlington. Die Ehrenwache stand an der Westflanke. Die starre Phalanx trug den unausgesprochenen Befehl der Armee : Der Sarg wird so weit getragen werden und nicht weiter. Dann wird man ihn in die Erde senken. Wir stehen hier in militärischem Glanz, um Respekt zu fordern. Dieser Respekt soll erwiesen werden. Aber stumm. Es wird keine Bezeugungen von privatem Leid geben, denn das ist unziemlich. Dies ist militärischer Boden. Wir sind Männer. Tote Männer.
Beängstigend, dachte Kastler, der einige Schritte hinter Alison stand, die am Fuß der abgegrenzten Fläche auf einem einzelnen, einfachen schwarzen Stuhl saß. Man berührte sich nicht, hatte keine Beziehung. Zu nichts, nur zu dem Ritual.
Wir werden den Ziffern nach zur Ruhe gelegt. Abzählen!
Rings um die quadratische Grabstelle jenseits der Ketten standen die Seniorbeamten des Pentagon. Etwa ein Dutzend waren vor Alison getreten, hatten leise zu ihr gesprochen, ihre Hände gehalten. Sie war der griechische Chor, der Peter sagte, wer die Spieler in bezug auf ihren Vater waren. Und seine Augen blieben aufmerksam. Es war durchaus möglich, daß jemand hier am Grab das Geheimnis von Chasŏng kannte. Er konnte nur die Gesichter studieren und seiner Fantasie freien Lauf lassen.
Ein Mann, der mit MacAndrew etwa gleichaltrig war, zog Peters Aufmerksamkeit auf sich. Er war ein Major, seine Gesichtshaut war dunkel. Aus dem Mittelmeergebiet, dachte Kastler. Er stand während des kurzen Gottesdienstes stumm da und redete mit niemandem. Als der Sarg vom Leichenwagen über den Rasen zum Grab getragen wurde, blieben die Augen des Mannes nach vorn
gerichtet; er reagierte überhaupt nicht auf die Gegenwart des Verblichenen.
Nur während der kurzen Rede des Kaplans zeigte der Major Anzeichen von Bewegung. Es war ganz kurz — nur ein Aufflackern — in seinen Augen, seinen Mundwinkeln. Der Ausdruck des Hasses.
Peter beobachtete ihn. Einen Augenblick lang schien der Major zu merken, daß man ihn beobachtete, und einen Augenblick lang berührte sein Blick den Kastlers. Wieder blitzte der Haß auf und verschwand dann. Er sah weg.
Als die Feierlichkeit vorüber war und man der Tochter des begrabenen Soldaten die Flagge gegeben hatte, traten die Offiziere einer nach dem anderen vor, um das zu sagen, was man von ihnen erwartete.
Aber der Major mit dem dunklen Teint drehte sich um und ging weg, ohne etwas zu sagen. Peter beobachtete ihn. Er erreichte einen kleinen Hügel jenseits der ausgefransten Reihen von Gräbern und blieb stehen. Langsam drehte er sich um und blickte zurück. Eine einzeln stehende Gestalt zwischen den Grabsteinen.
Kastler hatte das instinktive Gefühl, daß der Major einen letzten Blick auf MacAndrews Grab werfen wollte, wie um sich zu überzeugen, daß der Gegenstand seines Hasses wirklich tot war. Es war ein Augenblick von seltsamer Kälte.
»Ich konnte deine Augen hinter mir spüren«, sagte Alison, als sie in der Limousine Platz nahmen, die sie vom Arlington-Friedhof nach Washington bringen sollte. »Einmal habe ich dich angesehen. Du hast die Menge studiert. Und ich weiß, daß du jedes Wort gehört hast, das man zu dir gesagt hat. »Hast du jemanden Interessanten gefunden?«
»Ja«, antwortete Peter. »Einen Major. Er sah aus wie ein Italiener oder ein Spanier. Er ist nicht zu dir gekommen. Er war der einzige Offizier, der dir nicht persönlich kondoliert hat.«
Alison blickte zum Fenster hinaus auf die vorüberziehenden Gräber. Sie sprach mit leiser Stimme, damit der Chauffeur sie nicht hören konnte. »Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Dann muß dir auch aufgefallen sein, wie er sich verhalten hat. Es war sehr seltsam.«
»Es war normal. Für ihn. Er trägt seine
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