Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT

Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT

Titel: Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
Vom Netzwerk:
der Schnee.‹«
    »Das kam später. Irgendein Lied gefiel ihr dann, und es dauerte Monate. Sie sang es immer wieder.«

    »War deine Mutter Alkoholikerin?«
    »Sie hat getrunken, aber ich glaube nicht, daß sie Alkoholikerin war. Zumindest damals nicht.«
    »Du erinnerst dich recht gut an sie«, sagte Peter mit leiser Stimme.
    Alison sah ihn an. »Besser, als mein Vater wußte, und weniger als du glaubst.«
    Er widersprach nicht. »Weiter«, sagte er leise. »Sie begann wegzurutschen. Wußte das jemand? Hat man etwas für sie getan? «
    Alison griff nervös nach einer Zigarette. »Ich nehme an, der Hauptgrund, daß etwas geschah, war ich. Siehst du, es gab da niemanden, mit dem man reden konnte. Die Hausangestellten waren alle Japaner. Die wenigen Besucher, die wir hatten, waren die Frauen von irgendwelchen Offizieren; mit den Frauen von Offizieren spricht man nicht über seine Mutter.«
    »Dann warst du also allein. Ein Kind.«
    »Ich war allein. Ich wurde einfach nicht damit fertig. Und dann kamen spätabends diese Telefonanrufe. Sie zog sich dann immer an und ging aus. Manchmal mit diesem benommenen Blick, und ich wußte dann nicht, ob sie je zurückkommen würde. Eines Abends rief mein Vater aus Korea an. Sie war immer zu Hause, wenn er anrief; er schrieb ihr vorher immer genau, wann er anrufen würde. Aber in dieser Nacht war sie nicht da, also sagte ich ihm alles. Wahrscheinlich ist es einfach aus mir herausgeplatzt. Ein paar Tage später flog er nach Tokio zurück. «
    »Wie hat er reagiert?«
    »Daran erinnere ich mich nicht. Ich war so froh, ihn zu sehen. Ich wußte einfach, daß alles wieder gut werden würde.«
    »Wurde es das?«
    »Eine Welle hat es sich stabilisiert; das ist ein Wort, das ich heute gebrauchen würde. Ein Militärarzt kam öfter ins Haus. Dann brachte er andere mit, und sie holten sie alle paar Tage auf einige Stunden weg. Die Telefonanrufe hörten auf, und sie hörte auf, abends wegzugehen.«
    »Warum sagst du ›eine Weile stabilisiert‹? Ging es dann wieder in die Brüche?«
    Tränen traten ihr in die Augen. »Es geschah ganz ohne Warnung. Sie war plötzlich weg. Es geschah an einem hellen, sonnigen Tag, ziemlich spät; ich war gerade von der Schule nach Hause gekommen. Sie schrie. Sie jagte die Angestellten aus dem
Haus; sie wütete, zerschlug alles mögliche. Und dann starrte sie mich an. Ich habe noch nie einen solchen Blick gesehen. So, als liebte und haßte sie mich und war dann plötzlich von mir zu Tode erschreckt.« Alison fuhr sich mit der Hand an den Mund; die Hand zitterte. Sie starrte auf die Bettdecke hinunter, und ihre Augen blickten verstört. Den Rest sprach sie im Flüsterton. »Und dann ging Mutter auf mich los. Es war schrecklich. Sie hatte ein Küchenmesser in der Hand. Sie packte mich am Hals, versuchte, mir das Messer in den Leib zu stoßen. Immer wieder versuchte sie, nach mir zu stechen. Ich hielt ihr Handgelenk fest und schrie und schrie. Sie wollte mich töten! O Gott! Sie wollte mich töten!«
    Alison fiel nach vorn, ihr ganzer Körper wurde von Krämpfen geschüttelt. Ihr Gesicht war aschfahl. Peter beugte sich über sie, hielt sie an den Schultern fest, wiegte sie hin und her.
    Er durfte nicht zulassen, daß sie jetzt aufhörte. »Bitte, versuche dich zu erinnern. Als du ins Haus kamst, als du sie sahst, was hat sie da geschrien? Was hat sie gesagt?«
    Alison schob ihn von sich und lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes, die Augen geschlossen, das Gesicht von Tränen feucht. Aber sie hatte aufgehört zu weinen. »Ich weiß nicht.«
    »Du mußt dich erinnern!«
    »Ich kann nicht! Ich habe sie nicht verstanden !« Ihre Augen öffneten sich, und sie starrte ihn an. Sie verstanden beide.
    »Weil sie eine fremde Sprache sprach.« Er sagte das mit fester Stimme, stellte keine Frage. »Sie schrie in Chinesisch. Deine Mutter, die vier Jahre in den Po-Hai-Provinzen verbracht hat, die fließend Mandarin sprach, schrie dich in Chinesisch an.«
    Alison nickte. »Ja«.
    Die eigentliche Frage wurde nicht beantwortet; das verstand Kastler. Warum griff eine Mutter ihre Tochter an? Ein paar Sekunden lang ließ Peter seinen Gedanken freien Lauf, erinnerte sich vage der Hunderte von Seiten, die er geschrieben hatte, in denen irrationale Konflikte zu schrecklichen Gewalttaten führten. Es war kein Psychologe; er mußte in einfacheren Begriffen denken. Schizophrener Kindermord, Medeakomplex — das waren nicht die Bereiche, die er sondieren mußte, selbst wenn er dazu

Weitere Kostenlose Bücher