Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
von Mandarin kam sie zurecht.«
Kastler setzte sich auf. »Chinesisch?«
»Ja.«
»Sie war in China?«
»Das habe ich dir doch gesagt. In den Provinzen am Po-Hai-Golf. Sie verbrachte dort vier Jahre, denke ich. Ihr Vater operierte — wenn das das richtige Wort ist — zwischen Tientsin und Tsingtao.«
Peter sah weg und versuchte, seinen plötzlichen Argwohn zu verbergen. Eine Saite war in ihm angeschlagen worden, deren Klang mit den anderen keine Harmonie bildete; irgendwie war er beunruhigt. Er ließ den Augenblick so schnell wie möglich verstreichen und wandte sich wieder Alison zu. »Hast du deine Großeltern gekannt?«
»Nein. Ich erinnere mich undeutlich an Dads Mutter, aber sein Vater ...«
»Die Eltern deiner Mutter?«
»Nein.« Alison griff über ihn hinweg und drückte ihre Zigarette aus. »Sie starben während ihrer Missionsarbeit.«
»Wo?«
Alison hielt die ausgelöschte Zigarette vor das Glas des Aschenbechers und erwiderte dann mit leiser Stimme, ohne Peter anzusehen: »In China.«
Ein paar Augenblicke lang waren beide stumm. Alison lehnte sich zurück. Kastler blieb reglos sitzen und wich ihrem Blick nicht aus. »Ich glaube, wir wissen beide, wovon wir reden. Willst du darüber sprechen?«
»Worüber?«
»Tokio. Vor zweiundzwanzig Jahren. Der Unfall deiner Mutter. «
»Ich erinnere mich nicht.«
»Ich denke doch.«
»Ich war so jung.«
»So jung nicht. Du hast gesagt, du warst fünf oder sechs, aber da stimmt eine Kleinigkeit nicht. Du warst neun. Journalisten sind gewöhnlich ziemlich exakt, wenn es um das Alter geht; das läßt sich so leicht überprüfen. In diesem Artikel über deinen Vater stand dein richtiges Alter ...«
»Bitte ...«
»Alison, ich liebe dich. Ich will dir helfen, uns helfen. Zuerst galt es nur, mich aufzuhalten, jetzt hat es dich auch hineingezogen, weil du ein Teil der Wahrheit bist. Chasŏng ist ein Teil davon.«
»Von was für einer Wahrheit sprichst du denn?«
»Hoovers Archive. Sie sind gestohlen worden.«
»Nein! Das ist in deinem Buch so. Das ist doch nicht die Wirklichkeit.«
»Es ist von Anfang an die Wirklichkeit gewesen. Sie sind weggeholt worden, ehe er starb. Sie werden in diesem Augenblick benutzt. Und die neuen Besitzer stehen in irgendeiner Verbindung
zu Chasŏng. Das ist alles, was wir wissen. Deine Mutter steht auch damit in Verbindung. Und dein Vater hat diese Verbindung geschützt, solange sie lebte. Jetzt müssen wir herausfinden, was das für eine Verbindung war. Nur das wird uns zu dem Mann führen, der diese Archive jetzt in seinem Besitz hat. Und wir müssen ihn finden.«
»Aber das gibt doch keinen Sinn! Sie war doch nur eine kranke Frau, deren Zustand sich laufend verschlechterte. Sie war nicht wichtig!«
»Doch, es gab schon jemanden, für den sie wichtig war. Für den sie es immer noch ist. Um Gottes willen, hör auf, davor wegzulaufen! Du konntest mich nicht anlügen, also bist du darüber hinweggegangen. Dann hast du einen Bogen darum geschlagen, und schließlich hast du es ausgesprochen: China . Diese Po-Hai-Provinzen sind China . Die Eltern deiner Mutter sind in China gestorben. In Chasŏng kämpften wir gegen China!«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Das weiß ich nicht! Mag sein, daß ich völlig falsch liege, aber ich kann einfach nicht anders denken. 1950 ... Tokio, Korea. Die chinesischen Nationalisten vom Festland vertrieben; sie haben sich damals ziemlich frei bewegt, möchte ich meinen, und wenn ja, dann ist es auch möglich, daß man sie infiltriert hat. Orientalen sind in der Lage, sich voneinander zu unterscheiden, Leute aus dem Westen können das nicht. Ist es möglich, daß man an deine Mutter herangetreten ist? Daß man an die Frau eines der wichtigsten Kommandeure in Korea herangetreten ist und sie irgendwie erpreßt hat — weil sie Eltern in China hatte. Bis etwas zerbrach. Was ist vor zweiundzwanzig Jahren geschehen?«
Man konnte spüren, daß das, was sie sagte, Alison Schmerz bereitete. »Es fing schon einige Monate vorher an, glaube ich. Als wir das erste Mal nach Tokio kamen. Sie begann einfach, langsam wegzurutschen.«
»Was meinst du damit ... ›wegzurutschen‹?«
»Nun, ich sagte irgend etwas zu ihr, und sie starrte mich einfach an, hörte nichts. Und dann drehte sie sich manchmal um, ohne Antwort zu geben, und verließ das Zimmer, sang irgendwelche Bruchstücke von Liedern oder Melodien.«
»In dem Haus in Rockville habe ich das gehört. Sie hat eine uralte Weise gesungen. ›Es fällt
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