Das Kastler-Manuskript - Ludlum, R: Kastler-Manuskript - THE CHANCELLOR MANUSCRIPT
kann. Sie wurde krank, als ich noch sehr jung war.«
»Und doch blieb sie im gleichen Haus mit dir. Du mußt sie gekannt haben, selbst in ihrer Krankheit.«
Alison lehnte sich gegen das Kopfende ihres Bettes. Aber in ihr entspannte sich nichts; sie war aufmerksam, wachsam, als hätte sie vor dem Gespräch Angst. »Das stimmt nicht ganz. Es
gab immer irgend jemanden, der sich um sie kümmerte, und ich lernte schon früh, mich fernzuhalten. Und von meinem zehnten Lebensjahr an war ich in Internaten. Jedesmal, wenn mein Vater versetzt wurde, suchte er als allererstes eine Schule für mich. Die zwei Jahre, die wir in Deutschland waren, besuchte ich eine Schule in der Schweiz. Als er in London war, war ich auf der Gateshead Academy für Mädchen, das ist im Norden, in der Nähe von Schottland. Du siehst also, ich war die meiste Zeit nicht im gleichen Haus.«
»Erzähl mir von deiner Mutter. Nicht nachdem sie krank wurde, sondern vorher.«
»Wie kann ich das? Ich war ein Kind.«
»Was du über sie weißt. Deine Großeltern, ihr Haus, wo sie lebte. Wie sie deinen Vater kennenlernte.«
»Ist das nötig?« Sie griff nach einem Päckchen Zigaretten auf dem Nachttisch.
Kastler sah sie an, und seine Augen blickten ernst. »Ich habe gestern abend deine Bedingung akzeptiert. Du hast gesagt, du würdest meine auch akzeptieren. Erinnerst du dich?« Er nahm ihr die Streichhölzer weg und zündete ihre Zigarette an; die Flamme stand zwischen ihnen.
Sie erwiderte seinen Blick und nickte. »Ich erinnere mich. Also gut. Meine Mutter, so wie sie war, ehe ich sie kannte. Sie wurde in Tulsa, Oklahoma, geboren. Ihr Vater war Bischof in der Kirche des Himmlischen Christus. Das ist eine Baptistensekte, sehr reich und sehr streng. Um es genau zu sagen, ihre Eltern waren Missionare. Sie reisten in ihrer Jugend fast soviel wie ich. Ferne Orte. Indien, Burma, Ceylon, Po-Hai-Golf.«
»Wo ist sie erzogen worden?«
»Hauptsächlich Missionsschulen. Das war Teil ihrer Erziehung. In Jesu Augen waren alle Kinder Gottes gleich. Das war auch ein Schwindel. Man ging mit ihnen zur Schule — vermutlich, weil es den Lehrern half — aber mit ihnen essen oder mit ihnen spielen konnte man nicht.«
»Ich verstehe etwas nicht.« Peter lehnte sich zur Seite über ihre von der Decke bedeckten Beine, stützte den Ellbogen aufs Bett und legte den Kopf auf die Hand.
»Was?«
»Diese Küche in Rockville. Die Dekoration vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Selbst den verdammten Kaffeetopf verstehe ich nicht. Du hast gesagt, dein Vater habe das alles so entwerfen lassen, um sie an ihre Kindheit zu erinnern.«
»An die glücklicheren Augenblicke, habe ich gesagt. Oder hätte ich sagen sollen. Als Kind war meine Mutter immer dann am glücklichsten, wenn sie wieder in Tulsa war. Wenn ihre Eltern dorthin zurückkehrten, zu einer Art spirituellen Erholung. Es geschah nicht oft genug. Sie haßte den Fernen Osten, haßte das Reisen.«
»Seltsam, daß sie dann gerade einen Mann aus der Armee geheiratet hat.«
»Eine Ironie des Schicksals vielleicht — aber nicht so seltsam. Ihr Vater war Bischof; ihr Mann wurde General. Sie waren starke, entschlossene Männer und besaßen große Überredungskunst. « Alison wich seinen Augen aus, und er machte nicht den Versuch, sie wieder einzufangen.
»Wann ist sie deinem Vater zum erstenmal begegnet?«
Alison zog an ihrer Zigarette. »Laß mich nachdenken. Er hat es mir, weiß Gott, oft genug gesagt, aber es gab jedesmal kleine Variationen. So, als würde er dauernd und absichtlich übertreiben oder ausschmücken.«
»Oder etwas weglassen?«
Sie hatte die ganze Zeit die Wand angesehen. Jetzt wanderte ihr Blick schnell zu ihm herüber. »Ja. Das auch. Jedenfalls begegneten sie sich während des Zweiten Weltkriegs hier in Washington. Dad wurde nach dem nordafrikanischen Feldzug zurückgezogen. Man versetzte ihn in den Pazifik, und das bedeutete Kurzausbildung, Training in D.C. und Benning. Er begegnete ihr bei einem dieser Empfänge, wie die Armee sie gibt.«
»Was hatte die Tochter eines Baptistenbischofs auf einem Armee-Empfang in Washington, noch dazu in Kriegszeiten, verloren? «
»Sie arbeitete als Dolmetscherin für das Militär. Nichts Aufregendes — Prospekte, Bedienungsanleitungen. ›Ich bin ein amerikanischer Pilot, der mit dem Fallschirm in Ihr schönes Land abgesprungen ist, und ich bin Ihr Verbündeter‹ — das Zeug. Sie konnte einige fernöstliche Sprachen lesen und schreiben. Selbst mit den Grundbegriffen
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